"Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung"

von Ann-Marlen Hoolt

Sonntag, 26.01.2020

Schweinehälften in einem Schlachthof
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Der respektlose Umgang des Menschen mit Tieren zeigt sich unter anderem in der Massentierhaltung, im überhöhten Fleischkonsum und in der Vernichtung ganzer Ökosysteme.

Mit der Bibel in der einen Hand und dem Biologiebuch in der anderen versuchen Wissenschaftler am Institut für Theologische Zoologie in Münster, eine neue Sicht auf das Verhältnis von Mensch und Tier zu entwickeln.

Jahrhunderte lang hat das Christentum den Menschen als "Krone der Schöpfung" in den Mittelpunkt gestellt und dabei die Tiere als Mitgeschöpfe sträflich vernachlässigt. Das gilt es zu korrigieren, sagt der Institutsleiter Dr. Rainer Hagencord: "Sehr am Herzen liegt mir letztlich ein Bewusstseinswandel im Verhältnis zu den Tieren und zur Natur insgesamt." Ihm geht es dabei u.a. um eine "theologische Würdigung des Tieres". Auf der Internetseite des Instituts ist als ein Ziel formuliert, "im Dialog mit den Naturwissenschaften und vor allem dem Evolutionsparadigma die lange fällige Distanzierung von einem biblisch unhaltbaren Anthropo-Zentrismus, einer Rede vom Menschen als der "Krone der Schöpfung" und einzig beseeltem Lebewesen (zu erreichen)."

Die bisherige Geringschätzung der Tiere hat aus Sicht der Theologischen Zoologie zu gravierenden Fehlentwicklungen beigetragen – etwa der Massentierhaltung, des überhöhten Fleischkonsums und der Vernichtung ganzer Ökosysteme. Mit Workshops und Vorträgen versuchen Dr. Rainer Hagencord und sein Team, Menschen zu informieren, sie für die Probleme zu sensibilisieren und Alternativen aufzuzeigen.

Studierende der Uni Münster können am Institut für Theologische Zoologie auch Kurse besuchen. Neben menschlichen Lehrern kommen dabei u.a. auch echte Tiere wie die beiden die "Institutsesel" Freddy und Fridolin zum Einsatz. Nach der direkten Begegnung mit ihnen ergibt sich im Gespräch mit den Studierenden der Unterrichtsstoff quasi von alleine, so Hagencord: "In einer Nachbereitung haben wir sofort verschiedene Themen auf dem Schirm: Tiere sind großartige Persönlichkeiten mit Emotionalität, Bewusstsein und sozialer Kompetenz. Das zweite sind die Begriffe. Wenn man hört, »die Tiere sind ruhig, ausgeglichen, vorurteilsfrei«, dann sind das Begriffe, die wir Gott zusprechen. Und dann kann ich als Theologe sagen: »Ja, Gott ist in der Natur wirksam - als Segen, als eine Kraft, die uns Gutes will«."

Die Tiere viel stärker als bisher wahrzunehmen und zu würdigen, lässt sich nicht zuletzt auch biblisch begründen. Schließlich werden im "Buch der Bücher" mehr als 130 verschiedene Tiere namentlich erwähnt – von Ochs und Esel, Adler und Schlange bis hin zu Schafen und Löwen. Hagencord plädiert dafür, "die Tiere in Augenhöhe zu betrachten, das heißt, die Tiere als unsere Geschwister, unsere Verwandten zu sehen. Der zweite Punkt ist sehr naheliegend, nämlich auf Gewalt verzichten. Und der dritte Punkt ist, von ihnen zu lernen."

Zusammen mit Dr. Anton Rotzetter gehört Dr. Rainer Hagencord zu den Gründern des Instituts für Theologische Zoologie, das sie am 1. April 2009 ins Leben riefen. Der gebürtige Westfale aus Ahlen studierte zuvor Theologie in Münster und Fribourg (Schweiz), wurde 1987 zum Priester geweiht und hat nach vierjähriger seelsorglicher Arbeit Biologie und Philosophie in Münster mit dem Schwerpunkt Verhaltensbiologie studiert.

Sonntag, 26.01.2020