"Der Nazi hätte meinen Vater ertrinken lassen"

von Bettina Furchheim

Sonntag, 24.11.2024

drei Stolpersteine des Künstlers Gunther Demnig
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Die Großeltern und der Vater von Ron Gompertz wurden von den Nazis verfolgt. Drei Stolpersteine erinnern in Krefeld an ihren letzten Aufenthaltsort in Deutschland. (Foto: Pressestelle der Stadt Krefeld / Dirk Jochmann)

Fast 80 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs werden Zeitzeugen immer seltener. Es sind nur noch wenige da, die aus eigener Erfahrung über den Krieg, die Judenverfolgung und den Holocaust berichten können. Andere müssen jetzt an ihre Stelle treten.

Der Verein ZWEITZEUGEN e.V. mit Sitz in Essen zum Beispiel „ermutigt und befähigt (junge) Menschen, durch das Weitergeben der Geschichten von Überlebenden des Holocaust selbst zu zweiten Zeug*innen, zu Zweitzeug*innen zu werden, und sich gegen Antisemitismus und andere Diskriminierungsformen im Heute einzusetzen.“ Ein ähnliches Modell gibt es auch in den USA: „Legacy speaker“ heißen dort Menschen, deren Vorfahren von den Nazis verfolgt, vertrieben oder sogar getötet wurden und die die Erinnerungen an sie wachhalten.

Zu den „legacy speaker“ gehört auch Ron Gompertz. Der gebürtige Kalifornier lebt in Seattle (Bundesstaat Washington) und engagiert sich seit 2015 für das „Holocaust Center for Humanity“. In Youtube-Videos und Präsentationen erinnert er an das Schicksal seiner Großeltern und seines Vaters, der 1927 geboren wurde. Die jüdische Familie wohnte zur Zeit von Hitlers Machtergreifung 1933 in Krefeld. Schnell bekam sie die antisemitische Stimmung zu spüren: Freunde wandten sich ab, die Kinder wurden schikaniert, die Eltern in den Geschäften nicht mehr bedient.

Diese Ausgrenzung konnte durchaus lebensgefährliche Züge annehmen, wie Ron Gompertz an einem Beispiel erzählt: Als sein Vater in jungen Jahren bei einem Schwimmbadbesuch in Not geriet, machte der Bademeister keinerlei Anstalten, den kleinen Jungen zu retten. Der konnte sich nur mit größter Mühe ans Land kämpfen, woraufhin der Bademeister mit dem Finger auf ihn zeigte und schimpfte: „Dieses Schwimmbecken ist für Juden verboten!“ Ron Gompertz schließt seinen Bericht mit den Worten: „Er hätte meinen Vater einfach ertrinken lassen“. Ebenfalls nur knapp entging die Familie Gompertz 1938 den deutschen Plünderungen und Gewalttaten während der Reichspogromnacht. 1939 gelang ihr die Ausreise in die USA.

Der Vater von Ron Gompertz, Rolf Gompertz, war gerade 11 Jahre alt, als er zusammen mit seinen Eltern in Amerika eintraf. Dieser Moment brannte sich für immer in sein Gedächtnis ein: Die ganze Familie fiel damals auf die Knie, und sie küssten den amerikanischen Boden, weil sie wussten: „Hier sind wir endlich sicher.“ Rolf Gompertz heiratete seine Frau Carol, und aus der Ehe gingen drei Kinder hervor – darunter auch Ron.

Rolf Gompertz starb am 19.12.2022 im Alter von 94 Jahren in einem Seniorenheim in Ventura/Los Angeles. Bis zuletzt hatte er immer wieder öffentlich von seinen Erfahrungen und von der Verfolgung seiner Familie durch die Nazis erzählt, hatte Reden und Vorträge dazu gehalten und dabei auch immer wieder für Versöhnung geworben. Diese Aufgabe übernahm 2015 sein Sohn Ron und wurde so zum „legacy speaker“ (legacy = Vermächtnis / Erbe).

Auf Einladung der „Villa Merländer“, der NS-Dokumentationsstelle der Stadt Krefeld, reiste Ron Gompertz im März 2024 in die frühere Heimatstadt seines Vaters. So war er persönlich dabei, als vor dem Wohnhaus der Familie Gompertz an der Bismarckstraße 118 drei Stolpersteine mit den Namen seiner Angehörigen ins Pflaster verlegt wurden – zum Gedenken an seine Großeltern Oskar und Selma Gompertz und seinen Vater Rolf. „Das war ein sehr emotionaler Moment“, erzählt Ron Gompertz rückblickend: „Als die Steine mit den Namen vor dem Haus verlegt wurden, da fühlte ich: Die Erinnerung an sie wird bleiben. Noch lange nach meinem Tod.“

„Bloom the world“ sei der Auftrag seines Vaters gewesen: „Dort wo Du stehst, mache das Beste daraus. Bring die Welt zum Erblühen!“ Das betonte Ron Gompertz noch einmal in seinem Vortrag am Abend der Verlegung in der Villa Merländer. Und genau diesen Auftrag setzt er auch selbst um, indem er mit Jugendlichen spricht, ihnen erzählt vom Holocaust, den Erlebnissen seines Vaters, um aus der Geschichte zu lernen. 2025 möchte er erneut nach Krefeld kommen und in Schulen sprechen. Mehr Infos hier.

Sonntag, 24.11.2024