„Die Starken müssen für die Schwachen einstehen"
Sonntag, 18.09.2022
Viele fragen sich in diesen Tagen: Wo kann ich noch sparen? Und manch einer kommt ausgerechnet beim Blick auf die Gehaltsabrechnung auf Ideen: z.B. Steuern sparen durch Kirchenaustritt. Die evangelische Theologin Margot Käßmann hält dagegen.
Dass Menschen mit dem Gedanken spielen, ihrer Kirche aus Kostengründen den Rücken zu kehren, kann die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) durchaus nachvollziehen: „Natürlich habe ich Verständnis für Menschen, bei denen es finanziell total eng ist - da muss man ja Verständnis haben, und ich möchte auch allen sagen: Sie sind trotzdem im Gottesdienst um 10 Uhr willkommen, da wird nicht gefragt, ob jemand Mitglied ist oder nicht. Und trotzdem werbe ich darum: Bleibt dabei!“ Und sie ergänzt: „Die wichtigen Dinge im Leben kannst Du Dir eben NICHT kaufen, und die kannst Du auch nicht bei Netflix abholen - Sorge für die Seele, Rat und Trost in schweren Zeiten – das findest Du in der Kirche.“
Ob solche Argumente verfangen, muss sich erst noch zeigen - angesichts eines Strompreises, der an den großen Energiebörsen gegenüber dem Vorjahr um 600 Prozent gestiegen ist. Beim Gas sind es sogar 1.000 Prozent. Der Staat versucht zwar zu helfen, aber die Energiepreis-Pauschale von 300 Euro, die jetzt im September an alle steuerpflichtigen Erwerbstätigen ausgezahlt wird, kann diese Steigerung kaum ausgleichen. Und sie kommt bei den Menschen auch nicht in voller Höhe an, sondern muss mit dem jeweils persönlichen Satz versteuert werden.
Wo das der Fall ist, fällt für diese Zuwendung auch Kirchensteuer an. Mehrere evangelische Landeskirchen und katholische Bistümer haben aber schon angekündigt, dass sie diese Zusatzeinnahmen nicht für sich behalten, sondern damit Bedürftige unterstützen wollen. „Das Erzbistum Paderborn gibt die zusätzlichen Kirchensteuereinnahmen aus der Energiepreispauschale an soziale Projekte weiter“, meldete der Evangelische Pressedienst am 7.9.2022: „Nach Beschluss des Kirchensteuerrats im Erzbistum wird dafür ein »Caritativer Energiefonds« mit einer Ausstattung von 1,25 Millionen Euro eingerichtet. (…) Daraus sollten Zuschüsse für Energiekosten, verteuerte Mobilität und Energieschulden an Bedürftige und Ratsuchende mit wirtschaftlichen Engpässen ausgezahlt werden. (…) Die Verteilung der Gelder soll demnach über die örtlichen Caritasverbände und Fachverbände vor Ort erfolgen, wie es schon bei den Corona-Soforthilfen im Jahr 2020 organisiert worden war. Zudem sollen laut Beschluss 250.000 Euro an den Sozialfonds für in- und ausländische Studierende gehen, die an den Standorten der katholischen Studentenseelsorge im Erzbistum Paderborn geführt werden.“
Bereits am 2.9.2022 gab die rheinische Landeskirche in einer Pressemitteilung bekannt: „Die Evangelische Kirche im Rheinland will die Kirchensteuer-Mehreinnahmen, die durch die Besteuerung der geplanten Energiepreispauschale anfallen, nicht für eigene Zwecke einsetzen. Die zusätzlichen Einnahmen sollen stattdessen den Menschen zugutekommen, die besonders unter den steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten leiden. (…) So hat die rheinische Kirchenleitung beschlossen, den landeskirchlichen Anteil am Kirchensteueraufkommen – das sind 21 Prozent – an das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe zu überweisen. »Die Summe soll dort zur Entlastung von einkommensschwachen Menschen, die durch höhere Energiepreise Einschränkungen hinnehmen müssen, verwendet werden«, so Oberkirchenrat Henning Boecker. Da in der rheinischen Kirche die Kirchensteuerhoheit bei den 643 Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und im Saarland liegt, kann die Kirchenleitung selbst nur über den erwähnten landeskirchlichen Anteil von 21 Prozent unmittelbar entscheiden. »Den Kirchenkreisen und Kirchengemeinden empfehlen wir in unserem Beschluss aber, ihr zusätzliches Kirchensteueraufkommen für diakonische Aufgaben zu verwenden«, erläutert Boecker. Ähnlich hatte sich Anfang September auch die Lippische Landeskirche geäußert.