Kahlschlag bei sozialen Angeboten befürchtet
Sonntag, 03.09.2023
Geplante Kürzungen im Bundeshaushalt für 2024 gefährden die soziale Arbeit der Wohlfahrtsverbände in Deutschland. Allein bei den Freiwilligendiensten will der Staat fast ein Viertel der Zuschüsse streichen. Bundesweit wären 30.000 Stellen betroffen.
Käme es zu den geplanten Kürzungen, müsste allein die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe jeden vierten ihrer insgesamt 2.000 Freiwilligenplätze ersatzlos streichen. Über die Konsequenzen sagt Pfarrer Sven Waske, theologischer Vorstand bei der Diakonie Münster: „Jeder Platz, der nicht mehr vorhanden ist, wird sich bemerkbar machen: in Offenen Ganztagsschulen, in Kindertagesstätten, in Altenheimen. Dort werden Menschen real fehlen. Das ist natürlich in einer Zeit, wo gleichzeitig in der Bundespolitik über Pflichtdienst debattiert wird, eine absurde Situation. Anstatt über eine Pflichtdienstausweitung zu debattieren, würde es vollkommen ausreichen, die Freiwilligendienste vernünftig weiterzuführen.“
Das würde auch noch aus einem anderen Grund Sinn ergeben, so der Theologe. Gerade die Freiwilligendienste in ihrer Vielfalt seien oft eine Kontaktfläche zu den sozialen Berufen: „Ganz viele Menschen, die ein freiwilliges soziales Jahr machen, landen später in einem sozialen Beruf.“ Hier gebe es eine große Nachfrage nach ausgebildetem Fachpersonal. Deshalb sei es falsch, die Freiwilligendienste als Sprungbrett in die sozialen Berufe zu schwächen, meint Waske: „Wenn wir jetzt anfangen und bauen die Plätze ab, dann leuchtet mir nicht ein, was das soll.“ Im kommenden Jahr will der Bund in diesem Bereich trotzdem 78 Mio. Euro einsparen – das wären 24% weniger als bisher. 2025 sollen es sogar 35% weniger werden.
Laut einer Pressemitteilung der Diakonie zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) absolvieren insgesamt rund 100.000 Menschen pro Jahr einen Freiwilligendienst. Das seien mehr als zehn Prozent eines Jahrgangs der Schulabsolventinnen- und absolventen. Die Einsatzstellen und Trägerorganisationen bieten den Freiwilligen Orientierung und begleiten sie in ihrem Dienst.
Weiter heißt es in der Pressemitteilung: „Die geplanten Kürzungen werden die Zahl der Plätze in den Freiwilligendiensten reduzieren, die Vielfalt der Einsatzstellen einschränken und die erreichbaren Zielgruppen verkleinern. Damit wird ein wichtiges Instrument zur Gewinnung junger Menschen für soziale Berufe und gesellschaftliches Engagement massiv beschnitten. »Gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fordern und gleichzeitig ein dafür wichtiges Instrument kaputt zu sparen, passt für uns politisch nicht zusammen«, erläutert aej-Generalsekretär Michael Peters.“
Neben den Freiwilligendiensten wären von den Kürzungen aber auch noch zahlreiche andere Bereiche der sozialen Arbeit betroffen – etwa die Sucht- und die Schuldnerberatung, aber auch die für die Integrationsarbeit so wichtige Migrationsberatung. Diakonie-Vorstand Sven Waske rechnet damit, „dass 30% der Mittel dort wegfallen. Das ist natürlich ein Hammer. Wir leben in einer Zeit, in der so viele Menschen nach Deutschland kommen, wie noch nie nach dem 2. Weltkrieg. Die Zahlen sind massiv gestiegen, zuletzt auch durch die vielen Flüchtlinge aus der Ukraine.“
Ausgerechnet hier jetzt zu kürzen, würde die Integrationsarbeit erheblich erschweren, meint Waske. Es gäbe weniger Berater, längere Wartezeiten, und lokale Netzwerke rund um die Migrationsberatung würden zusammenbrechen. Außerdem passten solche Kürzungspläne nicht zu dem gerade erst beschlossenen Fachkräfte-Einwanderungsgesetz: „Da engagieren wir uns als Staat dafür, dass Menschen nach Deutschland kommen und Beratung und Unterstützung soll auf der anderen Seite wegfallen und weniger werden? Das kann ich mir nicht erklären, wie man das umsetzen will.“ Auch das bundesweite Angebot der Asylverfahrensberatung sei betroffen. Hier drohe der Wegfall von 50 Prozent der für das nächste Jahr mindestens benötigten Mittel.
Mehr Infos unter https://www.diakonie.de/bundeshaushalt-2024-erwartungen-an-die-politik .
Die Diakonie ist die soziale Arbeit der evangelischen Kirchen. Bundesweit sind 599.770 hauptamtliche Mitarbeitende in rund 33.000 ambulanten und stationären Diensten der Diakonie wie Pflegeheimen und Krankenhäusern, Beratungsstellen und Sozialstationen mit 1,2 Millionen Betten/Plätzen beschäftigt. Der evangelische Wohlfahrtsverband betreut und unterstützt jährlich mehr als zehn Millionen Menschen. Etwa 700.000 freiwillig Engagierte sind bundesweit in der Diakonie aktiv.