"So schön hat mich lange keiner mehr fotografiert"
Sonntag, 24.02.2019
Das Diakonie-Altenzentrum am Schwesternpark in Witten gibt schon seit 1999 einen Jahreskalender heraus. Diesmal sorgen die Fotos für Aufsehen. Unter dem Motto "Schönheit im Alter" zeigen die Seniorinnen und Senioren auf den Bildern viel nackte Haut.
Elisabeth Theiß zum Beispiel hat es mit ihren 92 Jahren auf die Titelseite des Kalenders geschafft. Auf dem Foto trägt die alte Dame einen Hut, eine Halskette, einen Ring – und sonst gar nichts. Viel Haut zeigen auch die fünf anderen Frauen und die drei Männer, die für den Kalender Modell gestanden haben. Sie sind zwischen 79 und 98 Jahren alt, wohnen alle im Wittener Altenzentrum der Diakonie und sind stolz auf "ihren" Kalender. Der hat sogar einen Preis gewonnen: Als weltweit bestes soziales Projekt wurde er beim diesjährigen "Gregor Calendar Award" mit einem "Award of Excellence" ausgezeichnet.
Frühere Kalenderausgaben waren in der Vergangenheit bereits drei Mal für Preise des "Gregor Calendar Award" nominiert. Ein beachtliches Ergebnis angesichts der internationalen Konkurrenz von hochkarätigen Kalendermachern wie Porsche und anderen. In der Reihe "Schönheit im Alter" hatte das Altenzentrum unter Mitwirkung seiner Bewohner bereits Kalender über "Sport", die "Märchen der Gebrüder Grimm" und "Alte Meister" herausgegeben. Das aktuelle Thema "Die neue Sinnlichkeit" schaffte in diesem Jahr schließlich den Sprung aufs Siegertreppchen.
Manuela Söhnchen leitet den sozialen Dienst des Hauses und genießt bei allen Bewohnern ein großes Vertrauen. Ihr ist es gelungen, die insgesamt neun Seniorinnen und Senioren für das Thema "Schönheit im Alter – die neue Sinnlichkeit" und für die Art der Umsetzung zu gewinnen. Auch der Fotograf war für die alten Menschen kein Unbekannter: Andreas Vincke, der Leiter des Altenzentrums, drückte höchstpersönlich auf den Auslöser.
Über die Idee zum Thema des aktuellen Kalenders sagt Vincke : "Das Thema Sinnlichkeit, das Thema Erotik hört ja im Alter nicht auf und hört auch nicht auf, wenn Menschen in ein Altenheim ziehen. Aber es ebbt ab. Im Alter verschwindet das Thema leider, und im Pflegeheim ist das Thema auch nicht so präsent, wie es eigentlich sein müsste. Weil: das Bedürfnis nach körperlicher Nähe, nach Körperkontakt, zu drücken, sich zu streicheln, das hört im Alter nicht auf."
Auch wenn die Bilder in die Kategorie "Aktfotografie" fallen – intime Details sind darauf nicht zu sehen. "Das, was passiert, passiert im Kopf", sagt Andreas Vincke. Er freut sich, dass der Kalender und damit auch das Thema unter den Mitarbeitenden, den Angehörigen, den Besuchern und auch unter den Bewohnern des Altenzentrums kontrovers diskutiert wird: "Da habe ich eigentlich schon mehr erreicht, als ich gehofft habe."
Denn Andreas Vincke und seinem Team geht es nicht nur um den künstlerischen Wert der Kalender. Vielmehr wollen sie damit auch die ältesten Bewohnerinnen und Bewohnern des Zentrums aktivieren und zur Teilhabe motivieren. Die hochbetagten und zum Teil pflegebedürftigen Senioren/innen sollen erfahren, dass auch sie noch etwas gestalten können: "Und was das für die Menschen mit ihren über 90 Jahren bedeutet, das kann man gar nicht in Worte fassen. Die Dame auf dem Titel zum Beispiel hat das Foto auf der Vernissage gesehen und sie hat geweint und hat zu mir gesagt: »Herr Vincke, so wunderschön hat mich schon lange keiner mehr fotografiert«."
Der Kalender "Schönheit im Alter – die neue Sinnlichkeit" wird in verschiedenen Größen online und über den Buchhandel vertrieben. Er kostet zwischen 19 und 49 Euro. Der Erlös fließt in die Arbeit im Seniorenheim.