100 Jahre Radio: "Hier ist die Sendestelle Berlin“

von Manfred Rütten

Sonntag, 29.10.2023

SW-Foto mit altem bärtigem Mann vor einem alten Radioempfänger
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Ein US-Farmer empfängt 1923 über ein Detektor-Radio die Ernteberichte eines Senders in Washington D.C. (Foto: Wikimedia gemeinfrei. U.S.D.A., Photo courtesy of National Archives and Records Administration. - 20111110-OC-AMW-0038)

„Achtung, Achtung. Hier ist die Sendestelle Berlin im Voxhaus. Auf Welle 400 Meter.“ Mit diesen Worten begann am 29.10.1923 abends um 20 Uhr die erste Radiosendung in Deutschland. Die „Funkstunde Berlin“ konnten damals gerade mal 253 Hörer empfangen.

Die Zahl kann wohl auch deshalb so genau bestimmt werden, weil jeder Hörer nicht nur ein Empfangsgerät, sondern auch noch eine Lizenz zum Zuhören besitzen musste. Diese Lizenz – die sogenannte „Hör-Gewährung“ - ist vergleichbar mit dem heutigen Rundfunk-Beitrag. Allerdings war sie deutlich teurer: 1923 war in Deutschland das Jahr der Hyperinflation, und so kostete eine Hör-Lizenz der Post 350 Milliarden Mark. Nach der Währungsreform wurde die Gebühr auf 2 Reichsmark pro Monat festgelegt, so dass es Ende 1925 in ganz Deutschland bereits mehr als eine Million angemeldete Radios gab.

Bei den Geräten handelte es sich streng genommen um sogenannte Detektoren. Mit diesen Apparaten „konnte man nur per Kopfhörer zuhören und das auch nur in begrenzter Reichweite rund um den Sender“, heißt es dazu auf der Webseite www.zeitklicks.de : „1926 lösten die Röhrengeräte die Detektoren ab. Nun konnte man über einen Lautsprecher zuhören und der Empfang war besser. Die ersten Geräte benötigten Batterien, erst ab 1927 gab es Radios für den Netzbetrieb.“

Zehn Jahre nach der ersten Radiosendung war die Zahl der Empfangsgeräte von anfangs 10.000 auf fünf Millionen gestiegen, und das Radio vor allem als Unterhaltungsmedium beliebt. Neben viel Tanzmusik und Schlagern würden auch große Sportveranstaltungen wie Boxkämpfe und Fußballspiele übertragen. Doch mit der Machtergreifung der Nazis wurden auch die Radiosender – wie alle anderen Massenmedien im Land – gleichgeschaltet und dienten fortan der NS-Propaganda. Am 25.3.1933 erklärte Propagandaminister Joseph Goebbels unverblümt: „Wir machen gar keinen Hehl daraus: Der Rundfunk gehört uns. Niemandem sonst. Und den Rundfunk werden wir in den Dienst UNSERER Idee stellen, und keine andere Idee soll hier zu Worte kommen.“

„Auf die Gleichschaltung des Rundfunks folgte die Gleichschaltung und gleichförmige Gestaltung seiner Empfangsapparate,“ beschreibt der Deutschlandfunk die weitere Entwicklung. Goebbels ließ einen einfachen, leicht zu bedienenden und kostengünstigen Empfänger entwickeln, der am 18. August 1933 pünktlich zur Eröffnung der 10. Berliner Funkausstellung vorgestellt wurde. Mit einem Verkaufspreis von nur 76 Reichsmark war das Gerät deutlich billiger als die übrigen Modelle am Markt, die zwischen 200 und 400 Reichsmark lagen.

Der Deutschlandfunk schreibt weiter: „Der sogenannte »Volksempfänger« hatte die Typenbezeichnung VE-301, wobei die Abkürzung VE für Volksempfänger und die Zahl 301 für den 30.1., also den 30. Januar 1933, den Tag der Machtergreifung Hitlers stand. (…) Bis zum Mai 1939 konnte die Zahl der gebührenpflichtigen Rundfunkteilnehmer auf Zwölfeinhalb Millionen gesteigert werden – nicht zuletzt dank der Erweiterung der Produktpalette: Zum VE 301 gesellten sich der »Arbeitsfunkempfänger« und der »Deutsche Kleinempfänger«, ein Gerät das nur noch 35 Reichsmark kostete und im Volksmund »Goebbels Schnauze« hieß.“

Nach dem Sieg über Nazi-Deutschland 1945 ordneten die Alliierten die deutsche Rundfunklandschaft neu. Nach britischem und amerikanischem Vorbild sollte auch der deutsche Rundfunk staatsfern und unter öffentlich-rechtlicher Kontrolle organisiert werden. Ein staatliches Meinungsmonopol und politische Propaganda wie unter der NS-Herrschaft sollten damit verhindert werden. Diesem Zweck diente auch die Entscheidung, dass Rundfunkpolitik künftig Ländersache und damit föderal organisiert werden sollte. So entstanden erste Landesrundfunkanstalten wie der NWDR, aus dem später der NDR und der WDR wurden. Heute gibt es noch neun Landesrundfunkanstalten, die in der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) zusammengeschlossen sind.

Anfang der 1980er Jahre wurde medienpolitisch entschieden, dass neben den öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten künftig auch privatwirtschaftlich betriebene Radio- und TV-Sender in Deutschland auf Sendung gehen dürfen. Einer der ersten privaten Radiosender war Radio Schleswig-Holstein (Radio R.SH). Im April 1990 gingen mit dem Mantelprogramm radio NRW und zehn Lokalsendern auch in NRW die ersten Privatradios „on-air“. Im Jahr 2023 wurden von der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e.V. (ag.ma) insgesamt 459 Radiosender erfasst. Das sind mehr als zehn Mal so viele Sender wie noch 1987. Ebenfalls 2023 gab es rund 32,34 Millionen Personen in der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahre, die täglich Radio hörten. Hinzu kommen weitere 14,5 Millionen, die ihr Radio „fast täglich“ einschalten.

Die Kirchen im Radio

In fast allen Landesmediengesetzen der 16 Bundesländer ist festgelegt, dass den Kirchen und der jüdischen Kultusgemeinde auf Wunsch „angemessene Sendezeiten zur Übertragung gottesdienstlicher Handlungen und Feierlichkeiten sowie sonstiger religiöser Sendungen einzuräumen“ sind. In NRW ist dies z.B. im § 36, Abs. 4 des Landesmediengesetzes geregelt. Auf diesem sog. „Drittsenderecht“ beruhen fast alle Aktivitäten der Kirchen in den Radio- und Fernsehanstalten. Das Drittsenderecht gilt für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten (z.B. WDR, NDR oder Bayrischer Rundfunk) und privatwirtschaftliche Sender (z.B. NRW-Lokalradios, Antenne Bayern, Radio Schleswig-Holstein) gleichermaßen. Da es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schon sehr viel länger gibt – in der heutigen Form seit Ende der 40er Jahre – können die Kirchen dort schon auf eine entsprechend lange Mitarbeit/Beteiligung zurückblicken: Die erste Predigt im deutschen Radio wurde am 25. November 1923 ausgestrahlt. Das kirchliche Engagement im Privatfunk ist damit verglichen recht neu – es reicht zurück bis in die Mitte der 80er Jahre.

Sonntag, 29.10.2023