50 Jahre Weltläden in Deutschland
Sonntag, 14.05.2023
Das Geschäft mit fair gehandelten Produkten boomt: Im Jahr 2022 lag der Umsatz in Deutschland bei 2,36 Mrd. Euro – ein neuer Rekord. Die Wurzeln dieser Erfolgsgeschichte reichen zurück bis in die 1970er Jahre und zu den sogenannten „Hungermärschen“ damals
Kirchliche Jugendverbände protestierten Anfang der 70er Jahre gegen ein Handelssystem, das die Länder der „Dritten Welt“ nur als Rohstofflieferanten sah, ihnen die Preise diktierte und sie ausbeutete. Aus dieser „Graswurzel-Bewegung“ entstand in Laufe der Zeit Großes. Von diesen Anfängen berichtet zum Beispiel Berthold Burkhardt, damals Jugendreferent im Dekanat Pforzheim, auf der Internetseite des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt: „1970 zogen wir in Hungermärschen durch die Städte und über die Dörfer. Vorher haben wir Sponsoren gesucht, die für jeden Kilometer einen bestimmten Betrag spendeten. Wenn man dann 20 Kilometer gelaufen war, hatte man eine hübsche Summe zusammen, die an bestimmte Hilfsprojekte gespendet wurde. Wir sammelten dabei aber nicht nur Geld, sondern wollten auch darauf aufmerksam machen, dass noch immer ein nachkoloniales Ausbeutungssystem existierte. (...) Das haben wir angeprangert.“
Diese „Hungermärsche“ waren gewissermaßen die Geburtshelfer des Fairen Handels. Ab September 1970 verkauften Kirchengemeinden und Aktionsgruppen fair gehandeltes Kunsthandwerk aus Asien, Afrika und Lateinamerika an. Kurze Zeit später gab es dann auch fair gehandelten Kaffee zu kaufen - das bis heute erfolgreichste Produkt. 1973 – also vor genau 50 Jahren - wurde in Stuttgart der erste „Weltladen“ eröffnet. In diesen Fachgeschäften, die zu Beginn noch „Dritte-Welt-Läden“ hießen, werden bis heute ausschließlich Produkte aus fairem Handel angeboten. Aktuell engagieren sich in den bundesweit rund 900 Weltläden etwa 10.000 Menschen.
Nach Angaben von weltladen.de erzielten die Weltläden und Fair-Handels-Gruppen in Deutschland 2020 einen Jahresumsatz von etwa 72 Mio. Euro. Der Gesamtumsatz des Fairen Handels in Deutschland betrug im gleichen Zeitraum 1,8 Mrd. Euro. Die Weltläden sind allerdings mehr als nur Verkaufsstellen für fair gehandelte Produkte. Sie leisten auch Informations- und Bildungsarbeit – u.a. in Schulen – und regen Jugendliche und Erwachsene zu einer kritischen Auseinandersetzung mit globalen Zusammenhängen an. Das dritte Standbein ist die politische Kampagnenarbeit, mit der die Weltläden auf Missstände im internationalen Handel aufmerksam zu machen. Aktuell fordert die Bewegung deutliche Nachbesserungen beim geplanten EU-Lieferkettengesetz – einer Richtlinie zur Regelung von unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, die Ende Mai 2023 im EU-Parlament beschlossen werden soll.
Nach Angaben des Statistik-Portals "Statista" verzeichnet der Handel mit Fairtrade-Produkten in Deutschland schon seit zwei Jahrzehnten einen regelrechten Boom mit zum Teil zweistelligen Zuwachsraten. So ist der Umsatz mit Fair-Trade-Produkten allein in Deutschland zwischen 1993 und 2018 von 29 Millionen Euro auf 1,6 Milliarden Euro gestiegen. Aktuell liegt er für das Jahr 2022 bei 2,36 Milliarden Euro - ein Plus von 11% gegenüber dem Vorjahr.
Von dem Trend profitiert auch das von den Kirchen vor gut 40 Jahren mitbegründete Fair-Handelsunternehmen GEPA mit Sitz in Wuppertal. Eigenen Angaben zufolge ist die GEPA ("Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt") europaweit das größte Unternehmen, das direkt mit Kleinproduzenten zusammenarbeitet und dabei großen Wert auf die Einhaltung internationaler Standards des fairen Handels legt. Hierzu zählt u.a. die Überprüfung der Lieferkette.
Der faire Handel zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass mit den Bauern und Handwerksbetrieben in Entwicklungsländern langfristige Lieferverträge abgeschlossen werden (z.B. für Kaffee- und Kakaobohnen, aber auch für Blumen, Reis, Weine, handgenähte Fußbälle u.v.m.), so dass der Erlös für die Produzenten nicht den kurzfristigen Schwankungen der Weltmarktpreise unterliegt. Auch ist die Bezahlung generell höher, es wird auf umweltschonende Produktionsmethoden geachtet und die Produzenten werden strukturell unterstützt – z.B. bei der Anschaffung von Maschinen. So werden aus billigen Zulieferern gleichberechtigte Handelspartner, die sich Dank fairer Preise eine dauerhafte Existenzgrundlage aufbauen können. Zu erkennen sind fair gehandelte Produkte, die es mittlerweile auch in Supermärkten zu kaufen gibt, u.a. an dem TransFair-Siegel (www.transfair.org).