95.000 „Stolpersteine“ gegen das Vergessen
Sonntag, 02.04.2023
Zehn mal zehn Zentimeter groß sind die „Stolpersteine“ des 1947 in Berlin geborenen Künstlers Gunter Demnig, mit denen er die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wachhalten will. Den ersten Stein verlegte Demnig 1992 in Köln.
Die Domstadt – Demnigs früherer Wohnsitz - und Berlin gehörten zu den ersten Orten, an denen der Künstler seine „Stolpersteine“ in die Pflasterung der Bürgersteige einbaute – damals noch ohne Genehmigung und teilweise auch gegen den Widerstand der Stadtverwaltungen. Den gibt es mittlerweile kaum noch. „Stolpersteine“ liegen inzwischen in 1.265 Kommunen Deutschlands und in 21 Ländern Europas. Ihre Gesamtzahl beläuft sich auf etwa 95.000 Steine. Die meisten davon hat Gunter Demnig selbst verlegt.
Das passiert in der Regel vor den Häusern oder Wohnungen, in denen NS-Opfer bis zu ihrer Verhaftung oder Deportation gelebt haben. „Hier wohnte ...“, der Name des Opfers, sowie weitere Angaben sind in eine kleine Messingtafel eingraviert, die wiederum auf einem würfelförmigen Pflasterstein befestigt wird. Bevor der 75Jährige seine Gedenksteine verlegen darf, braucht er neben der behördlichen Genehmigung vor allem die Unterstützung durch sog. "Patenschaften" vor Ort, die die Recherchearbeiten übernehmen. Oft geschieht dies im Rahmen von Schulprojekten. Angefragt wird Demnig aber z.B. auch von örtlichen Geschichtsvereinen oder Bürgerinitiativen. Die Paten übernehmen auch die Finanzierung. Ein Stolperstein kostet 132 Euro inklusive Verlegung. Mehr Infos gibt es unter https://www.stolpersteine.eu . Eine Leseempfehlung ist auch der Bericht der Deutschen Welle (DW) über Gunter Demnig.
Erst wenn die historischen Fakten zu den Opfern geklärt und alle weiteren Voraussetzungen erfüllt sind, macht sich Gunter Demnig, der mit seiner Ehefrau Katja inzwischen im mittelhessischen Alsfeld-Elbenrod lebt, an die Arbeit. Sein Ziel: die Menschen sollen buchstäblich über die kleinen Messingsteine stolpern und völlig unvorbereitet in ihrem Alltag mit den Schicksalen von Juden, aber auch Homosexuellen, Euthanasie-Opern, Sinti und Roma aus der NS-Zeit konfrontiert werden.
Besonders wichtig ist für ihn, "dass das Gedenken in unsere Lebensmitte gerückt wird und Erinnerungsmerkmale nicht weitab liegen, wie die zahlreichen nach 1945 entstandenen Gedenkstätten und Mahnmale, die man auch bequem links liegen lassen kann." In einem Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ sagte der Künstler, dass sechs Millionen ermordete Juden eine abstrakte und unfassbare Zahl sei, unter der sich gerade die jüngere Generation kaum etwas vorstellen könne. "Aber wenn die mit eigenen Augen sehen: Der Terror startete hier bei mir auf dem Dorf, in meiner Straße, meinem Haus, dann wird's konkret."
Bisher war es eher dem Zufall überlassen, ob man auf einen Stolperstein traf. Heute kann man gezielt nach ihnen suchen. Möglich macht das eine App, entwickelt vom Westdeutschen Rundfunk (WDR). Im Google Play Store heißt es dazu; „Mit Texten, Fotos, Audios, Graphic Storys und Augmented Reality-Elementen informiert die kostenlose App »Stolpersteine NRW« interaktiv über Menschen, die während der NS-Zeit in deiner Straße, in deiner Stadt gelebt haben: Stolpersteine NRW macht Geschichte lebendig.“ Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es rund 15.000 Stolpersteine, die in mehr als 250 Städten verlegt wurden.
Noch größer – nämlich bundesweit angelegt – ist Inhalt und Umfang der ebenfalls kostenlosen App „Stolpersteine Deutschland“, die von der Kölner Agentur D-Sire entwickelt wurde. Auf der Website der Agentur heißt es dazu: „In Verbindung mit dem KunstDenkmal »Stolpersteine« möchten wir die Erinnerungskultur an die Opfer des Nationalsozialismus digital unterstützen. Dafür verwenden und kompilieren wir öffentlich verfügbare Daten aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia und OpenStreetMap. Die persönlichen Geschichten und Schicksale werden so direkt an den Orten in Deutschland zugänglich gemacht, an denen sie geschrieben wurden. Bereits zum Start sind mehr als 27.000 Stolpersteine in der App vorhanden. Weitere werden regelmäßig von uns ergänzt.“