Antijüdische Bilder: Dunkles Erbe in Kirchen
Sonntag, 30.03.2025

Die sogenannte "Judensau" an der Wittenberger Stadtkirche ist eine extreme Beleidigung jüdischer Menschen, da Schweie im Judentum als unrein gelten. (Foto: Posi66 - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=64797027)
An der Stadtkirche von Wittenberg ist bis heute ein Steinrelief zu sehen, das eine Sau zeigt, an deren Zitzen zwei Männer saugen. Beide sind aufgrund ihrer Spitzhüte als Juden erkennbar. Ein Dritter hebt den Schwanz des Tieres und blickt in dessen Anus.
Diese als „Judensau“ bekannte Darstellung aus dem 13. Jahrhundert erregt seit Jahrzehnten die Gemüter. Weil Schweine im jüdischen Glauben als unrein gelten, fordern Gegner wie der zum Judentum konvertierte Michael Düllmann die Beseitigung des Steinreliefs. Mit seiner Forderung ist er bislang allerdings vor allen deutschen Gerichten gescheitert. In letzter Instanz entschied der Bundesgerichtshof (BGH) im Sommer 2022, dass die Darstellung nicht entfernt werden müsse, weil die zuständige Kirchengemeinde durch eine Bodenplatte und einen Aufsteller mit erläuterndem Text das „Schandmal“ in ein „Mahnmal“ umgewandelt habe (Az.: VI ZR 172/20).
Gegen dieses Urteil hatte Düllmann Verfassungsbeschwerde eingelegt, die jedoch vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen wurde (Az.: 1 BvR 1597/22). Daraufhin hat Düllmann im November 2024 Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg eingelegt. Er beruft sich dabei auf das in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Diskriminierungsverbot und den Persönlichkeitsschutz.
Die „Judensau“ an der Wittenberger Stadtkirche ist nicht zuletzt auch deshalb so umstritten, weil das Gebäude als „Mutterkirche der Reformation“ gilt. Martin Luther (1483-1546) hat hier regelmäßig gepredigt. In fortgeschrittenem Alter war der Reformator zu einem überzeugten Judenhasser geworden. Kurz vor seinem Tod verfasste er 1543 die Hetzschrift "Von den Juden und ihren Lügen". Jüdische Schulen, Häuser und Synagogen solle man "mit Feuer anstecken und was nicht verbrennen will, mit Erden beschütten, dass kein Mensch ein Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich", schrieb er.
Die judenfeindliche Darstellung an der Wittenberger Stadtkirche ist nicht die einzige ihrer Art in Deutschland. Ähnliche Juden verächtlich machende Reliefs und Bilder gibt es zum Beispiel auch an der Ruine der St. Nicolai-Kirche in Zerbst, am evangelischen Dom zu Brandenburg an der Havel, an der Sebalduskirche in Nürnberg, der Ritterstiftskirche St. Peter in Bad Wimpfen sowie in den Domen von Regensburg, Xanten und Köln. Im SZ-Magazin der Süddeutschen Zeitung heißt es zu dem Thema u.a.: „Vereinzelt sind »Judensäue« auch in Portugal, Frankreich, Polen oder Schweden zu sehen, aber die meisten Reliefs gibt es im deutschsprachigen Raum. (…) In etwa zwanzig deutschen Kirchen hängen sie bis heute – in manchen ohne historische Einordnung.“ Hier gibt es einen Überblick über die Standorte.
Neben einer „Judensau“, die in einem öffentlich nicht zugänglichen Teil des Kölner Doms zu finden ist, trägt auch das zwischen 1960 und 1965 entstandene sogenannte „Kinderfenster“ klar antijüdische Züge. Auf der Internetseite des Doms schreibt Matthias Deml über die Darstellungen in diesem Fenster: „Jüdische Widersacher Jesu werden mit verzerrten Gesichtszügen charakterisiert, wie sie sich bereits in Darstellungen von Juden seit dem Mittelalter, aber auch wenige Jahre vor der Entstehung des Fensters in antisemitischen Hetzschriften der NS-Propaganda finden. Zwei Szenen thematisieren den Judasverrat: die Auszahlung der Silberlinge und der Judaskuss (Mt 26, 14–16.47–50). In der ersten wird die Habgier als niederes Motiv des Judas betont. Noch wesentlich problematischer ist aber der Kontext, in dem die Judasdarstellungen stehen. Sie bilden eine Reihe mit dem Verkauf Josefs durch seine Brüder (Gen 37,1–36) und einer Mutter, die mit ihren Kindern vor der Bombardierung Kölns flieht. In Verknüpfung mit den drei Szenen, die einen Verrat zum Thema haben, greift die letztgenannte Darstellung die Lüge der NS-Propaganda auf, die Luftangriffe auf Deutschland seien das Werk jüdischer Hintermänner. Dass solche Darstellungen noch in den 1960er-Jahren möglich waren und von den damaligen Verantwortlichen entweder nicht erkannt oder nicht beanstandet wurden, ist erschreckend und beschämend zugleich.“
Sowohl in der katholischen wie auch in den evangelischen Kirchen hat der christliche Antisemitismus eine lange Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Im Kern geht es dabei um den Vorwurf, »die Juden« seien aufgrund der biblischen Überlieferung verantwortlich für die Kreuzigung Christi und damit »Gottesmörder«. Auf der Website Anders-Denken.de heißt es dazu weiter: „Mit der Christianisierung Europas verbreiten sich judenfeindliche Vorurteile und Stereotype. Im Laufe des Mittelalters werden sie weiter angereichert und ergänzt, bis es ab dem 13. Jahrhundert zu Verfolgungen und Austreibungen kommt. Antijüdische Feindschaft bezieht sich nun nicht mehr auf die Religion, sondern auf die Herkunft.“ Der Rassenwahn der Nationalsozialisten trieb den Antisemitismus auf die Spitze und führte schließlich zur Ermordung von ca. sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens. Von den Kirchen kam nur wenig Widerstand. Bereits 1939 versuchte das "Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" alle jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens zu beseitigen und die Bibel entsprechend zu säubern. An diesem „Entjudungsinstitut“ wesentlich beteiligt waren evangelische Kirchenräte, Superintendenten, Pfarrer, Professoren, Lehrer, Schriftsteller und sogar Landesbischöfe. Getragen wurde es von elf evangelischen Landeskirchen.
Die fünf (Erz)Bistümer und die drei evangelischen Landeskirchen in NRW stellen sich ihrem dunklen Erbe und haben im März 2025 gemeinsam Leitlinien zum Umgang mit antijüdischen Bildwerken in und an Kirchen herausgegeben. Das knapp 40 Seiten starke PDF-Dokument kann man hier herunterladen. Nachfolgend dokumentieren wir an dieser Stelle die offizielle Pressemitteilung, die am 6. März 2025 dazu veröffentlicht wurde:
Die Leitlinien befähigen die Verantwortlichen in den Kirchengemeinden vor Ort, antijüdische Darstellungen wahrzunehmen, zu verstehen und mit ihnen aufmerksam umzugehen. Für einen verantwortungsbewussten Umgang mit antijüdischen Darstellungen bietet die Arbeitshilfe ausdrücklich die Unterstützung von Dialogbeauftragten mit dem Judentum und den Personen, die für Kunst und Denkmalpflege zuständig sind, an.
Grundsätzlich ist nicht jede Darstellung von Jüdinnen und Juden zugleich antijüdisch, an vielen Stellen dient sie zunächst nur dazu, diese als Vertreter des Alten Testaments zu kennzeichnen. Einige Darstellungen des Judentums in und an evangelischen und katholischen Kirchengebäuden entfalten aber bis heute eine verletzende und herabwürdigende Botschaft und Wirkung. Die (Erz-)Bischöfe und evangelischen Kirchenleitungen erklären gemeinsam: „Wir werden uns zunehmend bewusst, dass der christliche Antijudaismus dem modernen Antisemitismus einen fruchtbaren Boden bereitet hat. Vor diesem Hintergrund stellen wir uns der Verantwortung der Aufarbeitung. Dies ist auch Aufgabe in unseren Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen.“ Daraus folgern sie: „Wir wollen dazu ermutigen, vor Ort bewusst und gut begründet mit den Objekten umzugehen und Verantwortung zu übernehmen.“
Ulf Schlüter, der theologische Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, bekräftigt dieses Anliegen: „Die Vergangenheit können wir nicht ungeschehen machen. Notwendig und möglich ist es jedoch, den kirchlichen Antijudaismus aufzuarbeiten und gegen jede Form von Antisemitismus anzugehen.“
Nach grundlegenden Ausführungen zu antijüdischen Inhalten und der Bedeutung von Bildern sowie einer Einordnung der theologischen Erneuerung des christlich-jüdischen Verhältnisses folgen Beispiele von antijüdischen Motiven in Geschichte und Kunstgeschichte. Außerdem werden verschiedene Möglichkeiten des kritischen Umgangs am Ort sowie die Möglichkeiten der Auseinandersetzung in der Gemeinde vorgestellt.
Weihbischof Rolf Steinhäuser, Bischofsvikar für den interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln, sagt zur Veröffentlichung der Leitlinien: „Ich halte die Auseinandersetzung mit unserem antijüdischen Erbe als Kirche für außerordentlich wichtig. Wir sind diese Aufarbeitung unseren jüdischen Geschwistern im Glauben schuldig. Sie bietet uns aber auch die Chance, den eigenen Glauben und das Verhältnis zum Judentum zu reflektieren, und die Gelegenheit, Kontakte zu jüdischen Menschen zu suchen.“