Das Zeitzeugen-Café in Münster
Sonntag, 04.10.2015
Menschen, die die Verfolgung durch das NS-Regime während des 2. Weltkriegs überlebt haben, leiden bis heute darunter. Vielen fällt es schwer, über das Erlebte zu sprechen. Helfen können sogenannte Zeitzeugen-Cafés. Dort gilt: Erzählen, um zu verarbeiten.
In den Zeitzeugen-Cafés finden Verfolgte des Nationalsozialismus Menschen mit ähnlichen Schicksalen zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch. Viele Überlebende sind traumatisiert. Oft dauert es lange, bis sie Vertrauen fassen und sich öffnen. Andere ziehen es vor zu schweigen oder das Thema Krieg zu meiden. Auch das ist erlaubt, denn die Zeitzeugen-Cafés sollen vor allem eines sein: Ein Ort zum Wohlfühlen.
Gerade Holocaust-Überlebende sind oft stark von Vereinsamung betroffenen. Verwandte und Freunde haben sie im Krieg verloren und nun – im Alter - werden auch die sozialen Kontakte immer weniger. Zusätzlich haben die Gäste im Café oft einen Migrationshintergrund und können nur wenig Deutsch. Die Kinder und Enkel leben meist noch im Herkunftsland. Umso wichtiger ist es, dass diese Menschen im Zeitzeugen-Café Kontakte knüpfen und etwas Abstand vom Alltag nehmen können. Das Café fördert den interkulturellen Austausch, wirkt Vereinsamung entgegen und verbessert die Lebenssituation der Überlebenden.
Ein solches Zeitzeugen-Café gibt es zum Beispiel in den Räumen der evangelischen Erlöserkirchengemeinde in Münster. Dort werden Verfolgte des Nationalsozialismus einmal im Monat zu Kaffee und Kuchen in das Paul-Gerhard-Haus eingeladen. Die Organisatoren bemühen sich dabei, alle Gäste persönlich zu betreuen. Nur so könne den Holocaust-Überlebenden vermittelt werden, dass sie hier sicher und geschützt sind. Mit dem Ende eines Cafénachmittags hört die Betreuung der Gäste nicht auf. Die freiwilligen Helfer telefonieren mit den Zeitzeugen oder helfen ihnen bei der Alltagsbewältigung. Wer aufgrund seines Alters nicht mehr zum Treffen kommen kann, den besuchen sie immer wieder.
Die Holocaust-Überlebenden sind dankbar für das Angebot. Dabei ist es auch ganz egal, aus welchen Gründen sie vom NS-Regime verfolgt wurden. Ob Juden, Sinti und Roma oder politisch Verfolgte – im Zeitzeugen-Café sind alle willkommen.
In manchen Städten sind die Treffen im Zeitzeugen-Café zwei Mal im Jahr öffentlich. Dann können alle Interessierten – und besonders Jugendliche – teilnehmen und sich mit der Zeit des Krieges und des Nationalsozialismus auseinandersetzen. Zeitzeugenarbeit gibt es außer in Münster unter anderen auch in Köln, Düsseldorf und Bielefeld.
Organisiert werden die meisten Treffen vom Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte, andere wiederum in Eigenregie. Der Bundesverband hilft und berät Holocaust-Überlebende seit den 1980er Jahren und vertritt die Interessen aller NS-Verfolgten. Inzwischen kümmert sich der Verband auch um die "Zweite Generation". Die Nachkommen von Verfolgten leiden oft unter den traumatischen Erlebnissen der Elterngeneration.