Die menschliche Seite des Messias
Sonntag, 23.02.2020
Über Jesus spricht die Bibel an vielen Stellen nur in den allerhöchsten Tönen: "Gott-Held", "Ewig-Vater" und "Friedefürst" wird er genannt, und seine Wundertaten prägen unser Bild von ihm bis heute. Dabei hatte der Sohn Gottes auch ganz menschliche Seiten
In der frühen Kirche wurde lange und heftig über die Natur Jesu gestritten, bis sich die verschiedenen Lager schließlich beim Konzil von Chalcedon im Jahr 451 darauf einigten, dass Jesus "wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich" war, und zwar "unvermischt und ungetrennt". Dieser dogmatische Satz gilt heute noch und wird von allen christlichen Konfessionen so gelehrt. Allerdings neigt die Dualität von "wahrer Gott und wahrer Mensch" sehr leicht zur Schieflage.
Spätestens seit der Himmelfahrt Jesu könne man sagen, "der ist jetzt bei Gott, damit ist die menschliche Seite abgetan", erklärt der Theologe Olaf Nöller. "Aber der Jesus in den Evangelien ist eben der Jesus, der ganz Mensch ist. Und zum Menschsein gehören ganz elementare Bedürfnisse wie essen, trinken, schlafen und auch Sexualität." Das habe nichts mit Skandalisierung zu tun, vielmehr gehe es um "das ernst nehmen des Menschseins Jesu".
Nöller erinnert in diesem Zusammenhang an die Geschichte von Salbung durch die Sünderin, wie sie im Lukasevangelium, Kapitel 7 erzählt wird. Eine Frau verschafft sich Zugang zum Haus eines Pharisäers, bei dem Jesus zu Gast ist, dringt gegen alle Konventionen der damaligen Zeit in die Männerrunde ein und salbt die Füße Jesu mit wohlriechendem Öl. Füße seien bekanntlich auch erotische Zonen, so Olaf Nöller, aber "Jesus lässt es zu. In einer großen Freiheit. Er hat Menschen berührt, er hat Umgang gepflegt mit Menschen, wo andere auf Distanz gingen – ich denke, dass ist das Entscheidende: Diese ungeheure Freiheit, die Jesus hat in seinem Handeln, die letztlich in Gott begründet ist. Denn der Gott, den Jesus uns predigt. ist auch vor nichts »fies«. Geht auch nicht auf Abstand, sondern ist ein Gott, der auch Freude hat, dass wir seine Geschöpfe sind."
Nach Nöllers Überzeugung ist Jesus auch leiblichen Genüssen nicht abgeneigt gewesen. Seine Gegner hätten ihn "Fresser und Weinsäufer" genannt. "Daran sieht man, dass Jesus auf keinen Fall Asket gewesen ist, sondern dass er genießen konnte. Das gehört zum Menschsein Jesu dazu, dass er Hunger und Durst hat, genauso wie er müde ist, wie er erschöpft ist. Es gibt zwischen den Zeilen viele Hinweise, dass Jesus auch manchmal Stress hatte, sich dann zurückzieht zum Gebet, zur Meditation. Er ist kein über die Erde wandelnder Gott."
Seine menschliche Seite zeige Jesus auch in vielen anderen Geschichten, meint Nöller, und verweist auf die dramatische Nacht im Garten Gethsemane. Kurz vor seiner Verhaftung und der späteren Kreuzigung wird Jesus dort so von Ängsten und Zweifeln heimgesucht, dass er Gott um Schonung bittet ("Lass diesen Kelch an mir vorübergehen"). Und seine Jünger, die um ihn herum lagern und immer wieder einschlafen, herrscht er an, sie mögen doch mit ihm wach bleiben und beten. Dass die Bibel nicht berichtet, wie Jesus in dieser Nacht hinter einem Gebüsch verschwand, um sich zu erleichtern, heißt nicht, dass er es nicht getan hat. Ein Mensch muss nun mal – auch wenn er der Messias ist.