Ein Heiliges Feuer, das nicht verbrennt
Sonntag, 01.04.2018
In der Jerusalemer Grabeskirche, wo der Überlieferung nach der Ort liegt, an dem Jesus gekreuzigt und begraben wurde, wird alljährlich am Karsamstag ein spektakuläres Ritual vollzogen: Ein Feuer, am Grab Jesu entzündet, wird an die Gläubigen ausgeteilt.
Nur griechisch-orthodoxe und armenisch-orthodoxe Christen haben an diesem Tag Zugang zur Grabeskirche. Sie versammeln sich schon am frühen Morgen in dem vor 1700 Jahren errichteten Gebäude und warten ungeduldig auf den großen Moment. Der ist gegen 14 Uhr erreicht, wenn die Patriarchen der beiden orthodoxen Glaubensrichtungen mit dem Heiligen Feuer erscheinen, das am Grab Jesu durch den Heiligen Geist entzündet wird – so besagt es zumindest die Glaubenstradition.
Durch gute Beziehungen ist es dem evangelischen Theologen und Archäologen Prof.Dr. Dieter Vieweger gelungen, einmal an diesem Ritual teilzunehmen. Nach Erscheinen des Feuers sei die Grabeskirche binnen Minuten völlig verraucht gewesen und die Gläubigen hätten die Flamme "in einer affenartigen Geschwindigkeit" untereinander weitergeben: "Das Heilige Licht wird dann überall hin getragen (…) auch nach draußen. (…) Da stehen Tausende Menschen noch vor der Kirche, müssen mit Fluttoren zurückgehalten werden, damit sie sich nicht gegenseitig erdrücken, und über diese Menschen hinweg wird dann das Feuer weitergegeben – sofort und gleich in irgendein Auto hinein, ins Flugzeug nach Griechenland."
Vieweger berichtet von großer Aufregung und Ekstase während des Rituals, trotzdem sei es zu keinerlei Unfällen oder Verletzungen gekommen. Die israelischen Sicherheitskräfte, die alle Feuerlöscher auf ihrem Rücken getragen hätten, mussten nicht eingreifen. Der Überlieferung nach seien die Flammen "Heiliges Licht" und würden deshalb keine Verletzungen verursachen. Tatsächlich - so Vieweger – habe er Gläubige beobachtet, die sich ihre Kerzen ganz nah ans Gesicht gehalten hätten, ohne sich dabei zu verbrennen. Er selbst habe allerdings auf diesen "Test" lieber verzichtet.
Jedes Jahr ist die Grabeskirche in Jerusalem Ziel von unzähligen Touristen und Pilgern aus alle Welt. Insgesamt sechs christliche Konfessionen teilen sich das Gebäude, das hauptsächlich von Angehörigen der römisch-katholischen Kirche, der griechisch-orthodoxen und der armenisch apostolischen Kirche verwaltet wird. "Mitbewohner" sind aber auch Kopten, Syrer und Äthiopier.
Welche Konfession wann und wo welche Liturgie innerhalb der Grabeskirche feiern darf, ist minutiös in fast 2000 Vorschriften festgelegt. Trotzdem gibt es immer wieder Streit zwischen den Hütern des Gebäudes. Da ist es geradezu beruhigend zu wissen, dass keiner von ihnen den Schlüssel für den Haupteingang zur Kirche hat. Der befindet sich seit Jahrhunderten schon in der Hand einer muslimischen Familie, der Joudeh. Und ein Angehöriger der ebenfalls muslimischen Familie Nusseibeh schließt jeden Morgen und jeden Abend die Grabeskirche auf und ab.