Europäischer Tag der jüdischen Kultur

von Joachim Gerhardt

Sonntag, 01.09.2024

Frau erklärt Jugendlichen das Innere einer Synagoge
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Ricky Kaminski vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde erklärt Konfirmanden das Innere der Bonner Synagoge.

Immer am 1. Sonntag im September wird der "Europäische Tag der jüdischen Kultur" gefeiert. Dieser 1999 eingeführte Aktionstag wird heute in fast 30 europäischen Ländern von jüdischen und nichtjüdischen Organisationen gemeinsam veranstaltet.

Er soll dazu dienen, das europäische Judentum, seine Geschichte, Traditionen und Bräuche in Vergangenheit und Gegenwart besser kennenzulernen. Unter einem jährlich wechselnden Leitthema werden dazu auf lokaler und regionaler Ebene Führungen zu Stätten jüdischer Kultur, Konzerte, Ausstellungen, Vorträge usw. organisiert. Jüdische Gemeinden, Gedenkstätten und Museen laden zur Begegnung ein, bieten Synagogen- und Friedhofsbesuche, kulinarische Entdeckungen und Filmvorführungen an.

Das Motto des Aktionstages 2024 lautet schlicht „Familie“. Dazu heißt es auf der englischsprachigen Website jewisheritage.com unter anderem: „In der heutigen Welt stehen jüdische Familien vor der heiklen Aufgabe, ihr Erbe zu bewahren und sich gleichzeitig den Anforderungen des modernen Lebens, den Herausforderungen unterschiedlicher Familienstrukturen wie interreligiösen Ehen, LGBTIQA+ und Familiendynamik anzupassen. Auch die sich verändernde Rolle der Frau in jüdischen Familien, die sich von traditionellen zu integrativeren Positionen wandelt, verleiht der Diskussion eine faszinierende Dimension.“ (übersetzt mit DeepL.com /kostenlose Version)

Das älteste noch erhaltene Dokument, das die Existenz jüdischen Lebens in Europa bezeugt, ist ein kaiserliches Edikt aus dem Jahr 321. Es sprach damals jüdischen Bürgern das Recht auf Mitwirkung im Rat der Stadt Köln zu. Damit gilt die Domstadt bis heute als älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen.

Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts gab es in Köln ein eigenes jüdisches Viertel im Herzen der Stadt mit etwa 1.000 Bewohnern. Als 1349 rund um Köln eine Pestepidemie wütet, verbreitet sich das Gerücht, die Juden seien die Ursache, sie hätten die Brunnen vergiftet. Obwohl die jüdischen Bewohner Kölns unter dem Schutz von Stadt, Erzbischof und König stehen, stürmt ein aufgeheizter Mob am 23. August 1349 das Viertel, macht es dem Erdboden gleich und tötet fast alle Bewohner. Im Jahr 1424 werden die Juden für "ewige Zeiten" aus der Stadt gewiesen. Erst im 19. Jahrhundert wird es danach wieder Juden in Köln geben. Bis 1933 die Nazis an die Macht kommen und Hetze, Drangsalierung und Verfolgung von Neuem beginnen. Heute hat die Synagogengemeinde Köln fast 5.000 Mitglieder und gehört damit zu den größten in Deutschland. Auch in anderen deutschen Städten kam es 1349 zu Pogromen gegen die damalige jüdische Bevölkerung, in deren Verlauf u.a. die jüdischen Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz vernichtet wurden. Allein in Worms wurden dabei rund 400 Jüdinnen und Juden ermordet.

Dabei spielten Juden im Mittelalter eine bedeutende Rolle in der europäischen Wirtschaft, insbesondere im Handel und in der Geldleihe, da ihnen aufgrund religiöser Beschränkungen oft andere Berufe verwehrt blieben. Die jüdischen Gemeinden in Spanien, Frankreich, Deutschland und Italien waren Zentren des Lernens und der religiösen Praxis. Die Sephardim in Spanien und Portugal beispielsweise erlebten eine kulturelle Blütezeit im sogenannten "Goldenen Zeitalter", wo sie in den Bereichen Philosophie, Medizin und Literatur herausragten.

Gleichzeitig waren Juden aber immer wieder Verfolgungen ausgesetzt. Im Jahr 1096 markierten die Kreuzzüge den Beginn massiver Pogrome, bei denen Tausende Juden in Mitteleuropa ermordet wurden. Im 14. Jahrhundert wurden sie fälschlicherweise für die Pest verantwortlich gemacht, was zu weiteren Verfolgungen führte. Die Situation verschlechterte sich weiter, als Juden 1492 aus Spanien und später aus anderen Teilen Westeuropas vertrieben wurden.

Mit dem Beginn der frühen Neuzeit wurde die jüdische Bevölkerung in vielen Ländern Europas in Ghettos gezwungen, wie etwa in Venedig, das im Jahr 1516 das erste Ghetto dieser Art einführte. Diese Viertel waren oft überfüllt und von der restlichen Bevölkerung isoliert, aber sie ermöglichten auch eine besondere Form der Gemeinschaft und kulturellen Entwicklung. Erst die Aufklärung und die Französische Revolution brachten einen entscheidenden Wendepunkt. Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert begannen viele europäische Staaten, den Juden mehr Rechte zu gewähren, was als Emanzipation bekannt wurde. In Frankreich erhielten die Juden 1791 volle Bürgerrechte. Ähnliche Reformen fanden auch in anderen Ländern statt.

Allerdings brachte das 19. Jahrhundert auch eine neue Welle des Antisemitismus mit sich. Dieser moderne Antisemitismus basierte auf rassistischen Ideologien und kulminierte in den Pogromen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, insbesondere in Russland und Osteuropa, wo viele Juden lebten. In diese Zeit fällt auch der dunkelste Abschnitt in der jüdischen Geschichte in Europa: Der Holocaust. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sechs Millionen Juden von den Nationalsozialisten systematisch ermordet. Diese beispiellose Tragödie führte zur fast vollständigen Zerstörung der jüdischen Gemeinden in Mittel- und Osteuropa.

Nach dem Krieg standen die überlebenden jüdischen Gemeinschaften vor der gewaltigen Aufgabe, sich neu zu organisieren und zu heilen. Viele Juden verließen Europa, insbesondere nach Israel oder in die Vereinigten Staaten. Diejenigen, die blieben, mussten sich in einem von den Schrecken des Krieges und der Shoah geprägten Umfeld neu orientieren.

Heute gibt es in Europa wieder lebendige jüdische Gemeinden, obwohl sie im Vergleich zur Vorkriegszeit zahlenmäßig kleiner sind. In Ländern wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien gibt es blühende jüdische Kulturzentren. Jüdische Feste, Traditionen und Bildungseinrichtungen spielen eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der Identität und des Erbes. Trotz dieser Wiederbelebung gibt es in vielen Teilen Europas nach wie vor antisemitische Tendenzen, die jüdisches Leben gefährden.

Die jüdische Kultur hat Europa über die Jahrhunderte auf vielfältige Weise bereichert. Jüdische Denker wie Moses Maimonides, Baruch Spinoza, Albert Einstein, Paul Ehrlich und Sigmund Freud haben wesentliche Beiträge zur Philosophie, Wissenschaft und Psychologie geleistet. In der Kunst und Literatur haben jüdische Maler, Musiker und Schriftsteller wie Heinrich Heine, Marc Chagall, Felix Mendelssohn Bartholdy, Jakob „Jacques“ Offenbach, Kurt Weill, Franz Kafka und Marcel Proust die europäische Kultur nachhaltig geprägt. Jüdische Musik, von der liturgischen Chasanut bis hin zu Klezmer, hat ebenfalls einen festen Platz in der europäischen Kulturgeschichte. Die jüdische Küche, mit ihren einzigartigen Traditionen und Gerichten, ist in vielen Ländern Europas ein fester Bestandteil geworden.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die jüdische Geschichte und Kultur in Europa ist eine Geschichte von großem Leid und bemerkenswerter Resilienz. Trotz jahrhundertelanger Verfolgung haben jüdische Gemeinschaften in Europa überlebt, sich angepasst und ihre Identität bewahrt. Ihre kulturellen Beiträge sind tief in das europäische Erbe eingebettet und bleiben auch heute von großer Bedeutung. Während Herausforderungen bestehen bleiben, bieten die wiederbelebten jüdischen Gemeinschaften in Europa Hoffnung für eine Zukunft, in der jüdisches Leben weiterhin blühen kann.

Sonntag, 01.09.2024