Fälle von Kirchenasyl nehmen weiter zu
Sonntag, 14.06.2015
Nach Angaben von www.kirchenasyl.de hat sich die Zahl der Fälle von Kirchenasyl von bundesweit 32 aus dem Jahr 2011 fast verachtfacht - auf aktuell 251 (Stand 5. Juni 2015). Konkret geht es dabei um 459 Personen, unter ihnen knapp 130 Kinder.
Bei der überwiegenden Zahl der aktuellen Kirchenasyle (217 von 251) handelt es sich um sogenannte Dublin-Fälle. Das heißt, betroffen sind Flüchtlinge, die aus einem angeblich sicheren Ersteinreiseland der EU nach Deutschland gekommen sind. Dort hin sollen sie zurück – auch wenn es für sie dort gefährlich ist. So will es die sogenannte "Dublin-Verordnung" der EU, die im Kern besagt, dass ein Flüchtling, der nach Europa kommt, in dem Land seinen Asylantrag stellen muss, in dem er zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat.
Immer wieder treten in der Praxis jedoch Fälle auf, in denen eine Überstellung von Flüchtlingen aus Deutschland zurück in Ersteinreiseländer wie z.B. Bulgarien oder Ungarn eine unzumutbare Härte oder sogar Gefährdung darstellen würde. Besteht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge trotzdem auf eine Rückschiebung, bleibt den Flüchtlingen nur das Kirchenasyl als letzte Hoffnung. In der Regel müssen sie mindestens sechs Monate unter dem Schutz der Kirche verbringen. Nach Ablauf dieser Frist können sie aus rechtlichen Gründen nicht mehr abgeschoben werden und erhalten ihr Asylverfahren in Deutschland.
Dieses erklärte Ziel der Kirchenasyle könnte das Bundesamt für Migration aber demnächst vielleicht aushebeln, erklärt der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft PRO ASYL, Andreas Lipsch: "Dass wenn jemand im Kirchenasyl ist, man ihn als `flüchtig´ deklariert, (…) und wenn er flüchtig ist, dann gilt nicht die 6-Monats-Frist, sondern eine 18-Monats-Frist. Und das würde bedeuten, dass die Kirchengemeinden eben 18 Monate das aushalten und durchhalten müssen (…) Ich glaube aber nicht, dass das dazu führen würde, dass dann alle Kirchengemeinden sagen würden, dann machen wir das nicht mehr. Das ist vielleicht für manche dann ne Überforderung, aber andere würden sich jetzt dadurch (…) nicht abschrecken lassen."
Im vergangenen Jahr wurden 212 Fälle von Kirchenasyl abgeschlossen. Das Ergebnis: 206 davon endeten für die Betroffenen positiv. Die Zahl zeigt beispielhaft, dass es den Asyl gewährenden Kirchengemeinden in dem meisten Fällen gelingt, die Behörden von einer nochmaligen und genaueren Prüfung zu überzeugen, so dass im Ergebnis für die Flüchtlinge zumindest eine weitere Duldung oder sogar eine Aufenthaltserlaubnis erzielt werden konnte.
Trotz dieser guten Erfolgsaussichten sollten Gemeinden sehr gut überlegen, ob sie den mit einem Kirchenasyl verbundenen Belastungen gewachsen sind. Die evangelischen Landeskirchen von Westfalen, Rheinland und Lippe haben dazu bereits im Januar 2014 eine gemeinsame Broschüre herausgegeben. Das Heft mit dem biblisch inspirierten Titel "Wenn ein Fremdling bei euch wohnt …" bietet Gemeinden praxisnahe Hilfestellungen, um über die Gewährung von Kirchenasylen zu entscheiden und diese mit Erfolg durchzuführen. Die knapp 30seitige Arbeitshilfe der Kirchen kann als pdf-Datei kostenlos heruntergeladen werden unter http://ekvw.de/kirchenasyl
Eine Pressemitteilung der Evangelischen Kirche von Westfalen zitiert die Herausgeber der Broschüre mit den Worten: "Wenn trotz Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten die Abschiebung eines Flüchtlings bevorsteht, die diesen möglicherweise der Gefahr für Leib und Leben aussetzt, fordert unser Glaube von uns, diesem Menschen beizustehen." In einem solchen Fall sei das von einer Gemeinde gewährte Kirchenasyl ein legitimes Mittel – auch im Sinne der internationalen Menschenrechte und des Grundgesetzes.
Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen "legitim" und "legal". Darauf weist auch Pfarrer Helge Hohmann hin, Beauftragter für Zuwanderungsarbeit der Ev. Kirche von Westfalen: "Das Kirchenasyl ist kein Rechtsinstitut. (…) Das ist nichts wofür es richtige Regeln oder Gesetze gibt." Darauf weist auch die gemeinsame Broschüre der evangelischen Landeskirchen in NRW hin: "Das Gewissen von Christen kann also in Widerspruch zu staatlichen Regelungen und Maßnahmen geraten und zu Verstößen gegen gesetzliche Bestimmungen führen." Die handelnden Personen müssten deshalb bereit sein, die volle, notfalls auch strafrechtliche Verantwortung zu tragen. Entscheidend sei, dass sie den Flüchtling nicht heimlich verstecken, sondern in jedem Fall die zuständige Ausländerbehörde informieren. Hier gibt es eine "Checkliste Kirchenasyl" und weitere Infos zum Thema.