Final: Eine Messe für den Bergbau

von Stefan Klinkhammer

Sonntag, 16.12.2018

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Am Donnerstag wird es besonders stimmungsvoll im Essener Dom: Eine Ära geht zu Ende. Für Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck ein nachdenkliches, melancholisch und dankbares Gefühl zugleich. Der Bergbau geht – die Kirche bleibt ...

INFO: Am 20.12. wird es besonders stimmungsvoll im Essener Dom: Eine Ära geht zu Ende. Für Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck ein nachdenkliches, melancholisch und dankbares Gefühl zugleich. Das Ruhrbistum, sagt er, wäre wohl ohne die mehr als 200-jährige Bergbaugeschichte vor 60 Jahren gar nicht entstanden. „Jetzt beginnt eine neue Ära!“, ist er überzeugt. „Wir müssen uns neu aufstellen! - auch als Kirche. Einen Tag vor der offiziellen letzten Förderschicht auf der Zeche Prosper Haniel werden nun die katholische und die evangelische Kirche am Donnerstag, 20. Dezember, den Bergbau mit einem feierlichen Gottesdienst im Essener Dom verabschieden. Bischof Franz-Josef Overbeck und Präses Manfred Rekowski halten in der live vom WDR-Fernsehen übertragenen Feier gemeinsam eine Dialogpredigt. Schwerpunkte sind der Dank an die Bergleute und für ihre Arbeit für die Region und die ganze Bundesrepublik, aber auch die Herausforderungen und Sorgen, die mit dem Ende der traditionsreichen Industrie verbunden sind.

Als Ehrengäste werden neben dem aktuellen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet und seinen Amtsvorgängern Hannelore Kraft, Jürgen Rüttgers und Wolfgang Clement auch der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm an dem Gottesdienst teilnehmen. Auch zahlreiche Oberbürgermeister aus Ruhrgebietsstädten werden im Dom zu Gast sein. Neben Michael Vassiliadis, dem Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, werden im Dom die Vorstandsvorsitzenden des RAG-Konzerns und der RAG-Stiftung, Peter Schrimpf und Bernd Tönjes, erwartet, dazu die Vorstandsvorsitzenden von Evonik und Eon, Christian Kullmann und Johannes Teyssen. Aus den beiden Kirchen kommen der frühere Essener Bischof Felix Genn (Münster), Bischof Helmut Dieser (Aachen), Erzbischof Hans-Josef Becker (Paderborn) sowie Präses Annette Kurschus für die evangelische Kirche von Westfalen und Erzbischof Wiktor Skworc aus dem ebenfalls durch eine lange Bergbau-Tradition geprägten Essener Partnerbistum im polnischen Kattowitz. 

Einen Ehrenplatz im Essener Dom wird beim Gottesdienst eine Barbara-Statue erhalten, die eigens aus rund 1.200 Metern Tiefe von Sohle 7 des Bergwerks Prosper Haniel geholt wird. Die musikalische Gestaltung übernehmen unter anderem der Ruhrkohle-Chor, Domorganist Sebastian Küchler-Blessing und Mitglieder der Dortmunder Philharmoniker. Nach der Feier ziehen die Gottesdienstteilnehmer zusammen mit Bergknappen vom Dom durch die Essener Innenstadt zur evangelischen Kreuzeskirche. Dort schließt der Abend mit einem Empfang der evangelischen Kirche. 

Während der Vorbereitung für die Fernsehübertragung bleibt der Dom zwischen Montag, 17. Dezember und Freitag, 21. Dezember, grundsätzlich geöffnet, allerdings werden zeitweise einige Bereiche gesperrt. Zudem entfällt der tägliche Mittagsimpuls um 12 Uhr. Am Mittwoch, 19.12., ist der Dom ab 16.30 Uhr für die Generalprobe geschlossen. Am Donnerstag, 20.12., schließt er gegen 13 Uhr und öffnet dann um 15.30 Uhr für den Gottesdienst, bei dem nur wenige nicht reservierte Sitz- sowie Stehplätze zur Verfügung stehen. Der Gottesdienst wird auch auf dem benachbarten Domhof live über eine Video-Leinwand übertragen. 

Kirche und Bergbau: Die Beziehungen zwischen Kirche und Ruhrbergbau sind weit älter als das vor 60 Jahren gegründete Bistum Essen. Bereits im reichsunmittelbaren Stift Essen wurde Kohle und Rasenerz gefördert. Die regierenden Fürstäbtissinnen investierten im ausgehenden 18. Jahrhundert kräftig in erste industrielle Anlagen, hielten Anteile an Zechen, gründeten Eisenhütten und schufen erste Sozialeinrichtungen. In der dem Land Preußen zugeschlagenen Region übernahmen nach Säkularisation, Enteignung und Auflösung des Stiftes Unternehmer die Initiative, holten Risikokapital aus England, Belgien oder Irland und führten mit der Dampfmaschine neue Fördermethoden ein, die insbesondere die Wasserhaltung erleichterte und den Tiefbau ermöglichte. Im Zuge der Entstehung einer wachsenden Verbundindustrie von Kohleförderung, Metallverhüttung, Transport- und Bauwesen strömten Hunderttausende Arbeiter „an die Ruhr“, die in den völlig überforderten Schwerindustrie-Kommunen zunächst auf eine völlig unzureichende Infrastruktur und katastrophale soziale Verhältnisse trafen. Die Selbstorganisation der Arbeiterschaft und des Handwerks wurde in dieser Zeit großer Umbrüche und Verwerfungen maßgeblich von der Ortskirche initiiert und begleitet, die ihre eigenen Strukturen deutlich ausbaute, aber auch einen maßgeblichen Anteil zur Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und zur Befriedung sozialer Konflikte leistete.
Vielfach fand sich die Kirche selbst dadurch in Opposition zu Unternehmern und Politik wieder. Denn Pfarrer und Geistliche sorgten nicht nur für eine religiöse Beheimatung der zahllosen Arbeitsmigranten, für Armenfürsorge und das Schulwesen: So genannte „Rote Kapläne“ förderten auch das Entstehen zahlloser christliche Knappen- und Arbeitervereine, gründeten Krankenkassen, Versicherungsvereine und sorgten für ein intensives Bildungsprogramm. Sie galten bald als politische Agitatoren und wurden für Streikbewegungen verantwortlich gemacht. Ausdruck dafür war im 1870/71 ins Leben gerufenen neuen Kaiserreich der fast zwei Jahrzehnte dauernde „Kulturkampf“, der mit zahlreichen Repressionen die katholische Kirche empfindlich treffen sollte. Anders als erwartet, folgte daraus eine massive Stärkung der katholisch-sozialen Bewegung, die im entstehenden Ruhrgebiet ein dichtes Netz von Vereinigungen, Verbänden, gewerkschaftlichen und parteipolitischen Organisationen bildete. In Abgrenzung zu sozialistischen, liberalen und nationalen Kräften bildete sich ein massives, eigenständiges und konfessionell geprägtes Milieu heraus, dessen Wirkung auf die Wirtschafts-, Sozial- und Mentalitätsgeschichte kaum zu unterschätzen ist. Die Spuren dieser Zeit finden sich weit über die Region hinaus - bis in die jüngste Geschichte der Bundesrepublik.

Bergbaumuseum Bochum: Dem Bergbau ist in Bochum ein ganzes Museum gewidmet. Das Deutsche Bergbau-Museum ist mit rund 400.000 Besuchern pro Jahr das weltweit größte Museum seiner Art. Infos: www.bergbaumuseum.de. Mehr Infos: www.zeitalterderkohle.de, www.glueckauf-zukunft.de

Unser Gesprächspartner: Dr. Franz-Josef Overbeck, geboren 1964 in Marl, ist seit 2009 Bischof von Essen. Nach dem Theologiestudium an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Rom wurde er am 10. Oktober 1989 durch Joseph Kardinal Ratzinger zum Priester geweiht, war Kaplan in Haltern und Domvikar am St. Paulus-Dom in Münster. Im Anschluss an die Promotion zum Dr. theol. übernahm er im Jahr 2000 die Leitung des Instituts für Diakonat und pastorale Dienste im Bistum Münster, war Bischöflicher Beauftragter für den Ständigen Diakonat im Bistum Münster und Heimleiter im Deutschen Studentenheim. 2007 wurde er zum Weihbischof in Münster ernannt, residierender Domkapitular und Regionalbischof der Region Münster-Warendorf. Nach dem Tod von Bischof Dr. Reinhard Lettmann war er bis 2009 Diözesanadministrator des Bistums und wurde am 20. Dezember 2009 als vierter Bischof von Essen eingeführt. Seit 2010 ist Bischof Dr. Overbeck als Vorsitzender der Bischöflichen Kommission Adveniat verantwortlich für das katholische Lateinamerika-Hilfswerk der Deutschen Bischofskonferenz und Mitglied der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika, seit 2011 Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr und seit 2014 Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz sowie Mitglied des Päpstlichen Rates für die Kultur. Als Delegierter der deutschen Bischöfe in der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) ist er seit 2018 tätig.
Kontakt: Sekretariat Bischof Overbeck, Burgplatz 2, 45127 Essen, Tel. 0201 / 2204-201; E-Mail: sekretariat-bischofshaus@bistum-essen.de, Internet: www.bistum-essen.de.

Sonntag, 16.12.2018