Gut oder gescheitert?: Zehn Jahre Hartz IV
Sonntag, 08.02.2015
Unter der rot-grünen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder trat am 1. Januar 2005 die sogenannte Hartz-Reform in Kraft, bei der u.a. die bisherige Sozial- und Arbeitslosenhilfe zur "Grundsicherung für Arbeitssuchende" zusammengelegt wurden.
Unter dem Kürzel Hartz IV ist diese Zusammenlegung bis heute ein Begriff. Allerdings fällt die Bilanz über Erfolg oder Misserfolg dieser Reform sehr unterschiedlich aus. So betont etwa eine Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) erstellt hat, vor allem die positiven Effekte. In einer Presseerklärung der INSM vom 19. Dezember 2014 heißt es dazu: "Durch diese Änderung haben die meisten derjenigen, die nur Anspruch auf Sozialhilfe gehabt hätten, heute mehr Geld zur Verfügung. Vor allem Haushalte mit Kindern geht es durch die Hartz-Reformen finanziell im Vergleich zu früher besser. (…) Durch die großzügigere Berechnung des Existenzminimums bei Hartz IV beziehen derzeit viele Menschen Leistungen, die unter der alten Regelung kein Geld erhalten hätten. Da diese Haushalte fast ausschließlich im unteren Einkommensbereich zu finden sind, profitieren besonders die hilfsbedürftigsten Teile der Bevölkerung von den Hartz-IV-Regelungen. Unter den Sozialleistungsempfängern verbuchen die ärmeren 70 Prozent im Durchschnitt Einkommenssteigerungen durch die Hartz-Reformen und nur 30 Prozent müssen Einkommenseinbußen hinnehmen. »Die Studie zeigt, dass Hartz-IV nicht nur geholfen hat, den deutschen Arbeitsmarkt wieder zu beleben, sondern auch finanziell gerechter ist, als vielfach angenommen«, so Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer der INSM."
Demgegenüber kommt der Paritätische Wohlfahrtsverband zu gänzlich anderen Ergebnissen. Am 17. Dezember 2014 urteilt der Verband in einer Pressemitteilung: "»Was seinerzeit großmundig als sozialpolitische Jahrhundertreform angekündigt wurde, entpuppt sich zehn Jahre später als Jahrhundert-Flopp mit verheerenden Auswirkungen auf viele Menschen in diesem Land«, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Die Armut in Deutschland sei auf einem neuen Rekordhoch und die Gesellschaft tief gespalten. In `zehn Thesen´ zieht der Verband zehn Jahre nach Inkrafttreten des SGB II (…) Bilanz: Hartz IV sei zur `Sackgasse´ für Millionen Menschen, insbesondere auch Kinder, geworden. Sinkende Arbeitslosenquoten seien mit einer `Amerikanisierung´ des Arbeitsmarktes erkauft worden, die Langzeitarbeitslosigkeit habe sich auf hohem Niveau verfestigt, Hilfestrukturen seien kaputt gekürzt worden und faktisch nicht mehr existent. Der Verband kritisiert eine `Zwei-Klassen-Arbeitsmarktpolitik´ und wirft der Politik vor, durch verschiedene sozialpolitische Maßnahmen in den letzten Jahren u.a. die Probleme der Kinder- und Altersarmut noch verschärft zu haben." Mehr unter http://www.10jahre-hartz4.de/homepage/bilanz/
Auch die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände Diakonie bzw. Caritas kritisieren seit langem, dass die Hartz-IV-Regelsätze so knapp kalkuliert sind, dass sie schon unter normalen Umständen keine ausreichende Versorgung und umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sicherstellen. Es sei den Betroffenen deshalb auch nicht möglich, von den ohnehin schmalen monatlichen Budgets Geld für größere Anschaffungen zurückzulegen, wie es der Gesetzgeber fordert. Zum zehnjährigen Bestehen der Hartz-Reformen hat die Diakonie Deutschland ein 10-Punkte-Papier vorgelegt.
Auf der dortigen Internetseite gibt es außerdem den Link zu einem Interview mit dem Theologen und Sozialethiker Dr. Franz Segbers. In der Bewertung der Hartz IV-Gesetzgebung kommt er u.a. zu dem Schluss: "Die vorrangige Aufgabe des Staates besteht in der Hartz IV Gesetzgebung nicht mehr darin, die soziale Sicherung zu gewährleisten, sondern die soziale Sicherung so umzubauen, dass Anreize geschaffen werden, Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen. Die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe wurden zusammengelegt, aber auf einem niedrigeren Niveau. Damit hat der Staat einen Anreiz geschaffen, Arbeit zu jedem Preis anzunehmen. Das zeigen auch alle Untersuchungen: Menschen nehmen fast jede Arbeit an, damit man ja nicht zu Hartz IV Empfängern werden. Die Folge davon ist, dass wir in Deutschland einen ausufernden Niedriglohnsektor haben. Fast jeder vierte Arbeitnehmer ist in diesem Sektor beschäftigt. Es ist eine neue Figur eines Arbeitnehmers entstanden. Ich nenne diese Figur einen Fürsorgearbeitnehmer: Eine Person, die arbeitet, aber zu einem Lohn, der so niedrig ist, dass er aufstocken muss. 47 Milliarden Euro musste die öffentliche Hand nach der Einführung von Hartz IV an Lohnersatzleistungen zahlen. Der Staat subventioniert niedrige Löhne, damit die Unternehmen wettbewerbsfähig sind. Die Kosten muss die Allgemeinheit tragen."
Die von Bundeskanzler Schröder seinerzeit eingesetzte "Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" unter ihrem Vorsitzenden, dem damaligen VW-Personalvorstand Peter Hartz, hatte ursprünglich deutlich höhere Regelsätze für Hartz IV vorgeschlagen. In einem Interview mit der Zeitung "Tagesspiegel" machte Peter Hartz Ende 2014 deutlich: "Wir wollten diese Kürzungen nicht. Die Kommission hat einstimmig vorgeschlagen, die Leistung beim durchschnittlichen Betrag der Arbeitslosenhilfe festzusetzen. Das wären 511 Euro im Monat gewesen. Die Politik hat sich für das Niveau der Sozialhilfe entschieden, der Regelsatz landete bei 345 Euro."