Hexenverfolgung forderte europaweit 60.000 Tote
Sonntag, 30.04.2023
Nicht ins „finstere Mittelalter“ fiel die Hexenverfolgung, sondern in die Neuzeit: Zwischen 1450 und 1750 erreichte sie ihren Höhepunkt. Allein im damaligen Deutschen Reich Römischer Nationen fielen ihr 40.000 Menschen – überwiegend Frauen – zum Opfer.
Europaweit wurden etwa 60.000 Menschen wegen angeblicher Hexerei hingerichtet – meist auf dem Scheiterhaufen, denn nach damaligen Vorstellungen hatte das Feuer reinigende Kraft, so dass die Seelen der Verurteilten in den Himmel gelangen konnten. Dabei spielte die (katholische) Kirche bei der Hexenverfolgung zunächst kaum eine Rolle. Bis ins 15. Jahrhundert hinein war man in Rom der Meinung, dass der Glaube an Hexen ein „geistlicher Irrtum“ sei - ein Aberglaube also, der zwar im Volk verbreitet, aber in der gebildeten Theologie verpönt war.
Mit dem Aufkommen von Glaubensabweichlern, richtete die römische Kirche Anfang des 13. Jahrhunderts die „Heilige Inquisition“ ein. Dieses Instrument sollte das Aufspüren und Bekehren bzw. auch die Verurteilung von Häretikern erleichtern. Ihr fiel später u.a. der Mönch und Astronom Giordano Bruno zum Opfer, der fundamentale Glaubenssätze der katholischen Kirche in Zweifel zog und dafür im Februar 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die „Heilige Inquisition“ diente vor allem der Einführung einer Prozessordnung überhaupt, wie sie heute noch im weltlichen Strafrecht üblich ist: Befragung der Angeklagten, Sicherung von Beweisen, Anhörung von Sachverständigen etc. - sie schuf einen Prozessrahmen und war nicht als Terrorinstrument gedacht. Mehr unter https://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/hexenwahn/aufsaetze/02.htm
Der Dominikaner Heinrich Kramer (1430 – 1505) wurde 1479 auf sein eigenes Betreiben hin zum Inquisitor der Ordensprovinz Alemannia bestellt. Er war nicht nur ein Antisemit, Frauenhasser und degradierter Ordensmann, sondern auch ein glühender Verfolger angeblicher Hexensekten. Kramer entwarf den Text der Bulle „Summis desiderantes affectibus“ (sog. Hexenbulle), die Papst Innozenz VIII. 1484 auf sein Betreiben herausgab. Diese päpstliche Schrift selbst stand im Gegensatz zu kirchlichem Recht und Lehre, damit unter Vorbehalt, Wenige Jahre später folgte mit dem „Malleus Maleficarum“ ein weiteres Buch, das zu einer Art Handbuch der Hexenverfolgung werden sollte.
Im Online-Lexikon Wikipedia heißt es dazu: „Gegen Dezember 1486 verfasste Kramer den Hexenhammer, welcher durch die aufkommende Buchdruckerkunst weite Verbreitung fand. (…) Kramer fügte seinen Ausführungen die päpstliche Bulle Summis desiderantes affectibus und die gefälschte Approbation mehrerer Kölner theologischer Professoren bei. Damit wurde dem Werk, das die hohe Auflage von 30.000 Exemplaren erreichte, der Anschein einer Empfehlung für weltliche Richter gegeben, die vom Inquisitor bevollmächtigt und beauftragt wurden, das gefällte Urteil zu vollstrecken. Auf diese Weise nahm der Hexenhammer als kasuistischer Kommentar den Rang eines kirchlichen »Hexengesetzbuches« für Strafrichter an.“ Dabei ist es wichtig zu wissen: Prozesse, vor allem im Blick auf „Blutgerichtsbarkeit“ bzw. Todesstrafen, lagen damals nur und ausschließlich in den Händen weltlicher Gerichte, die auch alle Entscheidungen trafen.
Im Zuge dieser Entwicklungen gelangte im 15. Jahrhundert auch die römische Kirche zur Auffassung, dass Hexerei real sei. Wolfgang Behringer, Professor für Frühe Neuzeit an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, erklärt dazu: „Das war der Zeitpunkt, wo es in Europa gefährlich wurde, da nicht mehr nur die Bevölkerung an Hexerei glaubte, sondern auch die Kirche und die staatlichen Gerichte. Diese »legale« Hexenverfolgung dauerte vom 15. Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert an. Gesamteuropäisch gesehen hatte sie ihren Höhepunkt zwischen 1560 und 1630.“
Dass es in Wellen und regional unterschiedlich immer wieder zu unmenschlichen Hexenjagden kam, erklärt der Münchner Historiker Ralf-Peter Fuchs in seinem Buch "Hexenverfolgung an Ruhr und Lippe" so: „Auslöser für die Verfolgungen zwischen 1500 und 1706 mit ihren Höhepunkten um 1580/90 sind vor allem Pestepidemien, Missernten, Teuerungen und Kriegsängste. Nach diesen Erfahrungen, aber auch wegen religiöser Motive suchten die Bewohner der untersuchten Städte - wie in vielen anderen Gebieten des Alten Reiches - nach vermeintlich Schuldigen am eigenen Unglück.“
Die Initiative zu den Hexenprozessen ging demnach nicht in erster Linie von Geistlichen oder der weltlichen Obrigkeit aus, sagt Ralf-Peter Fuchs: „Meist wurden die Frauen von Nachbarn als Hexen angeprangert.“ Zeugen, die die Aussage stützten oder sogar eigene Vorwürfe gegen die Angeklagten vorbrachten, fanden sich eigentlich immer. Und keine aus heutiger Sicht noch so abstruse Beschuldigung wie das Wegfliegen auf einem Besen oder der Vollzug angeblicher magischer Rituale wurde in Zweifel gezogen. Beweise gegen diese Anschuldigungen konnten die Beklagten in der Regel nicht vorweisen, sie standen buchstäblich allein gegen alle.
Für eine endgültige Verurteilung wegen Hexerei brauchte es allerdings ein Geständnis. Das erreichten die Gerichte durch die Androhung oder die Anwendung von brutalen Foltermethoden. Führte auch das nicht zum gewünschten Erfolg, kamen auch „Gottesurteile“ wie die berüchtigte Wasserprobe zum Zuge: der Verdächtige wurde gefesselt und in kaltem Wasser versenkt. Schwamm er oben, galt er als überführt, da man damals glaubte, das reine Element Wasser würde Hexer/Hexen abstoßen.
„"Noch heute glauben viele Menschen, dass die Kirche die Prozesse führte“, sagt der Münchner Historiker Ralf-Peter Fuchs. „Das ist falsch: Prozesse, bei denen es um Leib und Leben gingen, lagen nur in Händen weltlicher Behörden.“ Die Hexenverfolgungen und -prozesse endeten erst, als Juristen und Historikern im 18. und 19. Jahrhundert bewusst wurde, dass Richter und Obrigkeiten jahrhundertelang grausame Strafen für Delikte ausgesprochen hatten, die auf reiner Erfindung beruhten.
Von der einstigen Hexenjagd ist hierzulande Gott sei Dank nur noch Folklore übrig geblieben: In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai, dem Namenstag der Heiligen Walburga und deshalb „Walpurgisnacht“ genannt, fliegen die Hexen in den Harz, um dort auf dem Brocken den Teufel zu treffen und wilde Feste und Rituale zu feiern. Dieser alte Volksglaube wird heute gerne touristisch wiederbelebt.
In anderen Regionen der Erde werden dagegen bis heute Menschen der Hexerei beschuldigt, sagt Professor Wolfgang Behringer aus Saarbrücken: „Ich bin inzwischen der Überzeugung, dass im 20. Jahrhundert mehr Menschen wegen Hexerei getötet worden sind als in der ganzen Periode der europäischen Hexenverfolgung in 300 Jahren. Wenn man sich zum Beispiel die Zahlen in Tansania anschaut, die inzwischen auch von Menschenrechtsorganisationen publiziert werden, dann gehen die Opfer dieser Tötungen in die Zehntausende. Im Fall von Tansania wurden zwischen 1960 und 2000 ungefähr 40.000 Menschen ermordet, die wegen vermeintlicher Hexerei angeklagt wurden. Hexerei ist kein Delikt im tansanischen Strafrecht, aber es sind oft Dorfgerichte, die entscheiden, dass bestimmte Menschen getötet werden sollen. Es sind nicht einfach Willkürakte, dahinter stehen auch Strukturen. Deswegen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Hexenverfolgungen kein historisches Problem sind, sondern ein brennendes Problem unserer eigenen Gegenwart. Mehr dazu unter https://www.augenblickmalonline.de/am/morgen-walpurgisnacht-.php
TV-Tipp: „Geschichte der Hexenverfolgung“ - eine knapp 45minütige "Terra X"-Doku des ZDF, zu sehen bei YouTube unter https://www.youtube.com/watch?v=vnh0HzK_qf4