Himmlische Beats: Pop-Musik im Gottesdienst
Sonntag, 30.03.2025

Im Himmelfahrtsgottesdienst am 13.5.2021 spielte das Trio "Acoustic Delite" live in der Christuskirche Mönchengladbach. Zu hören war u.a. "Heaven" von Brian Adams. (Foto: Christuskirche M´gladbach | Screenshot YouTube)
Musik und Gesang gehören zum Glauben wie das Amen in der Kirche. Schon zur Zeit des Alten Testaments wurden im Tempel Psalmen gesungen, begleitet von Instrumenten wie Harfen, Zimbeln und Trompeten. Diese jüdische Tradition wurde vom Christentum übernommen
Im frühen Christentum – das heißt vom 1. bis 4. Jahrhundert – war der Gesang in den christlichen Gemeinden meist einstimmig. Vorgetragen wurden hauptsächlich Psalmen und Hymnen, eine Begleitung durch Musikinstrumente gab es dagegen nicht. Ab dem 5. Jahrhundert entwickelte sich vor allem in den Klöstern die sogenannte Gregorianik, ein einstimmiger liturgischer Gesang. Mehrstimmig wurde es erst ab dem 9. Jahrhundert, aber schon im 8. Jahrhundert kamen in den Kirchen die ersten Orgeln zum Einsatz. Sie waren groß, hatten nur wenige Pfeifenreihen und wurden von mehreren Personen bedient. Denn Manuale (Tastaturen), Pedale oder Register (verschiedene Klangfarben) gab es damals noch nicht. Sie wurden erst im Hoch- und Spätmittelalter (11.–15. Jh.) entwickelt.
In der Folgezeit bis ins 18. Jahrhundert hinein wurde die Orgel technisch immer weiter verfeinert. Sie bekam Pedale, wurde mehrstimmig spielbar und so zu dem bestimmenden Musikinstrument in Kirchen und Gottesdiensten. In dieser Zeit prägten Komponisten wie Palestrina, Bach und Händel die Kirchenmusik, indem sie klanggewaltige Orgelwerke aber auch großartige mehrstimmige Chormusik und Oratorien schrieben.
Die Kirchenmusik heutiger Prägung bewahrt einerseits diese klassischen Traditionen, ist aber zugleich auch bunter, moderner und vielfältiger geworden. Dazu gehören Geistliche, die Kirchenlieder mit der Gitarre begleiten, Gospelchöre, die afroamerikanische Rhythmen nach Europa brachten bis hin zu modernen Lobpreislieder und Live-Musik von Bands mit E-Gitarre, Bass und Schlagzeug.
Im vergangenen Jahr feierte die evangelische Kirche ein musikgeschichtliches Jubiläum: Das evangelische Kirchengesangbuch (EG) wurde 500 Jahre alt. Seine Geschichte begann mit ein paar wenigen Seiten: Im Jahre 1524 stellte der Drucker Jobst Gutknecht in Nürnberg ein kleines Heftchen her – das „Achtliederbuch“. Binnen weniger Jahre wuchs diese erste Sammlung geistlicher Lieder stetig – auch dank Martin Luther.
Der hatte 1517 mit seinem Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche seine Kritik an den Lehren der römisch-katholischen Kirche veröffentlicht und damit eine Zeitenwende eingeleitet: Die Reformation, die zur Kirchenspaltung und zur Gründung der evangelischen Kirche führte. Luther brachte nicht nur neue theologische Ideen ins Spiel, er brach auch mit etlichen katholischen Traditionen. So predigte er nicht auf Latein, sondern bewusst in seiner deutschen Muttersprache. Und er wies der Musik und dem Gesang im Gottesdienst eine neue Rolle zu.
"Luther war ein Mensch, der musikalisch hoch gebildet war", sagt der Mönchengladbacher Kirchenmusiker Udo Witt: "Luther konnte singen, Luther konnte Laute spielen und war mit den damaligen Komponisten in ganz engem Kontakt." Sein Talent und seine Liebe zur Musik setzte er ein, um auch selber Melodien und Texte zu schreiben. Er übersetzte lateinische Hymnen ins Deutsche, schrieb eigene Liedtexte in seiner Muttersprache und ließ sie im Gottesdienst singen. Das verlieh seiner reformatorischen Bewegung Bekanntheit und damit enormen Auftrieb. Außerdem erhielt die versammelte Gottesdienstgemeinde durch Luther eine völlig neue Rolle. War sie bis dahin in den katholischen Messen zum Schweigen und Zuhören verdammt, konnte sie nun aktiv an der Gottesdienstgestaltung mitwirken – durch ihren Gesang.
Der Kirchenmusiker Udo Witt formuliert es so: "Für Luther war die Gemeinde nicht ein zu bepredigendes Volk, sondern sie waren alle Gläubige. Und sie hatten auch eine Botschaft zu verkünden. Die Gemeinde fühlte sich auf einmal ernst genommen." Um das Mitsingen zu erleichtern, setzte Luther bei seinen Liedern auf Melodien, die bereits bekannt waren. So nutzte er für sein Lied "Christum wir sollen loben dich schon" einen alten lateinischen Hymnus, der seit dem frühen Mittelalter gesungen wurde. Das Weihnachtslied "Vom Himmel hoch da komm ich her" basierte in der ersten Version auf einem alten deutschen Spielmannslied. Erst 1539 komponierte Luther eine eigene Melodie dazu.
Luthers erste Lieder entstanden 1523. Dazu zählen u.a. "Nun freut euch, liebe Christen g'mein" (EG 341), außerdem Psalmlieder wie "Aus tiefer Not schrei ich zu dir" (EG 299) und ursprünglich lateinische Hymnen wie "Nun komm, der Heiden Heiland" (EG 4), die Luther ins Deutsche übertrug. In den Jahren bis 1529 kamen vor allem liturgische Gesänge hinzu, darunter "Es ist gewisslich an der Zeit" (EG 149), die Vertonung des Agnus Dei (EG 190.2), und "Verleih uns Frieden gnädiglich" (EG 421).
Wie in der Weihnachtsausgabe 2023 der Süddeutschen Zeitung nachzulesen ist, schrieb Luther um die Jahresende 1523/24 herum einen Brief an Georg Spalatin, den Sekretär seines Gönners und Beschützers Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen. Darin heißt es u.a.: „Ich habe den Plan, nach dem Beispiel der Propheten und der alten Väter der Kirche deutsche Psalmen für das Volk zu schaffen, das heißt, geistliche Lieder, damit das Wort Gottes auch durch den Gesang unter den Leuten bleibt.“ Im selben Brief liefert er auch gleich ein Beispiel mit: Den von ihm selbst ins Deutsche übersetzten Psalm 130, den er mit „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“ betitelte. Experten zufolge war dies die Geburtsstunde des evangelischen Gesangbuchs.
Aus dem 1524 veröffentlichten „Achtliederbuch“, das auf zwölf Seiten gerade mal acht geistliche Lieder versammelte (darunter allein vier von Martin Luther), wurde im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte ein umfangreiches Werk. Ein evangelisches Gesangbuch von 1760 enthielt „784 der besten und geistreichsten Lieder“, wie es auf dem Titelblatt vermerkt ist. Das heutige Gesangbuch beinhaltet auf gut 1.600 Seiten die Texte und Noten von knapp 700 Liedern, dazu aber auch noch im hinteren Teil viele Psalmen, Gebete sowie Vorschläge für Andachten und Gottesdienste.
Buchtipp:
Unser Studiogast Pfarrer Werner Beuschel aus Mönchengladbach hat während der Corona-Pandemie mehrere Gottesdienste aus seiner Kirche gestreamt. Immer wieder kamen dabei auch Popsongs und andere moderne Musik zum Einsatz – so auch der im Beitrag verwendete Beatles-Klassiker „With a little help from my friends“. Mehr unter https://www.youtube.com/channel/UCHBuDkzxjiuAsGRQVmRdGyg