KI in der Backstube: Besser planen, weniger wegwerfen
Sonntag, 24.07.2022
Die Verbraucher wünschen sich von ihren Lebensmitteln gute Qualität, eine reiche Auswahl und ständige Verfügbarkeit. Letzteres führt u.a. dazu, dass die Supermärkte zu viel ordern und am Ende des Tages Ware übrig bleibt, die dann entsorgt werden muss.
Spätestens seit dem Dokumentarfilm "Taste the waste" des Journalisten Valentin Thurn von 2011 ist das Problem und Ausmaß der Lebensmittelverschwendung einer breiten Öffentlichkeit bewusst geworden. Thurns Fazit seinerzeit: Die Hälfte aller Lebensmittel landen im Müll – allein in Deutschland seien das jährlich 20 Millionen Tonnen. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom 1. Juli 2022 ist dieser Wert zwar inzwischen auf etwa 11 Millionen Tonnen gesunken – trotzdem bleibt es ein Skandal.
Um die Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen, hat Frankreich nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“ im Februar 2016 ein entsprechendes Gesetz erlassen: „Es verpflichtet Supermärkte mit einer Ladenfläche von mehr als 400 Quadratmetern, unverkaufte Lebensmittel an örtliche Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen zu spenden. Pro Vergehen droht eine Geldstrafe von 3.750 Euro.“ Der Bericht der SZ zeigt, dass in Einzelfällen weiterhin Lebensmittel im Müll entsorgt und durch die Zugabe von Chemikalien unbrauchbar gemacht werden. Damit soll das sogenannte „Containern“ – also die Rettung von Lebensmitteln durch Aktivisten oder Bedürftige - verhindert werden. Insgesamt aber zeigt das Gesetz Wirkung: „Der Anteil der Lebensmittel, den die französischen Tafeln von den Supermärkten erhalten, ist zwischen 2015 und 2017 von 39 000 Tonnen auf 46 200 Tonnen gestiegen. Ein Plus von fast 19 Prozent.“
Wie die SZ weiter schreibt, hat die Bundesregierung zwar geäußert, die Lebensmittelverschwendung in Deutschland bis zum Jahr 2030 halbieren zu wollen – konkrete Maßnahmen wie etwa in Frankreich gebe es jedoch noch nicht. Dabei könnten die Tafeln hierzulande gerade jetzt jede Unterstützung gebrauchen. Die bundesweit 960 Tafelvereine mit insgesamt 2.000 Ausgabestellen versorgen nach eigenen Angaben inzwischen über zwei Millionen Bedürftige – vier Mal so viele wie noch 2005 - und stoßen damit an ihre Grenzen. Während die Zahl der Tafel-Kunden wegen der aktuellen Inflation immer weiter steigt, sinkt gleichzeitig die Menge an gespendeten Lebensmitteln, weil die Supermärkte weniger abzugeben haben.
Der Vorsitzende der Tafeln in Deutschland, Jochen Brühl, hat Ende 2019 ein Buch zum Thema Lebensmittelverschwendung veröffentlicht. Er sagt: "Wir haben Menschen, die zu wenig haben, und gleichzeitig leisten wir uns eine Verschwendung von 18 Millionen Tonnen Lebensmitteln im Jahr. Da ist was falsch im System. Und ich glaube, wir müssen endlich an den Ursachen arbeiten und nicht nur an den Folgen."
Eine der Ursachen ist ein grundsätzlich falscher Umgang mit Lebensmitteln. Es werden zu große Mengen eingekauft, manches wird falsch gelagert und Vieles einfach weggeschmissen, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Dazu sagt Jochen Brühl: "Mindesthaltbarkeitsdatum heißt ja nicht, wenn ich etwas esse, was ein (…) abgelaufenes Mindesthaltbarkeitsdatum hat, dass ich dann tot umfalle, sondern ich muss mich wieder auf meine Sinne verlassen – riechen, schmecken, sehen. Und ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir auch nur das kaufen, was wir brauchen und Ressourcen schützen."
Klimaschutz beginnt für Brühl im eigenen Kühlschrank. Auch darüber hat er für sein Buch mit verschiedenen Menschen gesprochen – darunter auch mit Prominenten wie dem TV-Moderator Jörg Pilawa, dem Schauspieler Hannes Jaenicke oder Sternekoch Tim Raue. Brühls Fazit macht Mut: "Was am Ende übrig bleibt, ist für mich, dass eigentlich alle diese Leute von der Hoffnung leben und auch von dem, dass man etwas tun kann. Dass wir Dinge verändern können." Dieser Aufruf sei nicht nur an die Politik berichtet, sondern an die Gesellschaft insgesamt: "Wir sollten machen und nicht immer nur beklagen." Das Buch von Jochen Brühl "Volle Tonne, leere Teller" ist im adeo-Verlag erschienen, hat 240 Seiten und kostet 22 Euro.
Nicht nur in den reichen Industriestaaten wandern Nahrungsmittel in die Tonne. In armen Ländern verdirbt Nahrung meist, weil geeignete Lager und Verpackungen fehlen. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO geht so etwa ein Drittel der weltweiten Nahrungsmittelproduktion als Abfall verloren. "Der Auftakt eines schlimmen Kreislaufs: Je mehr Essen im Müll landet, desto stärker wächst die Nachfrage nach Rohstoffen. Die Preise steigen, arme Menschen können die Nahrung nicht mehr bezahlen", schreibt dazu das Verbraucherportal www.test.de .
Auch die evangelische Hilfsorganisation Brot für die Welt, der Evangelische Entwicklungsdienst und Slow Food Deutschland e.V. kritisieren die Lebensmittelverschwendung seit Jahren. In einer gemeinsamen Erklärung zum Start der Aktion "Teller statt Tonne" heißt es u.a.: „Jeder zweite Kopfsalat und jede zweite Kartoffel wird schon bei der Ernte aussortiert, jedes fünfte Brot kommt ungekauft in die Tonne. Der Kunde wünscht Auswahl an frischen, makellosen Waren bis Geschäftsschluss und möchte zu jeder Jahreszeit alles kaufen können. Was nicht den Schönheitsidealen entspricht, endet auf dem Müll. In Deutschland allein werden 15 Millionen Tonnen Lebensmittel im Jahr »entsorgt«. Das Ausmaß der Verschwendung ist erschreckend – gerade wenn man bedenkt, wie viele Menschen sich nicht genügend Lebensmittel leisten können, vor allem in den Ländern des Südens.“
Mehr Infos zum Thema Lebensmittelverschwendung und wie man sie vermeiden kann, bietet ein Artikel des National Geographic aus dem Jahr 2021. Das paneuropäische Mediennetzwerk EURACTIV hat 2017 Zahlen zur Lebensmittelverschwendung in der Europäischen Union veröffentlicht. Demnach „werden jährlich um die 88 Millionen Tonnen Lebensmittel in der EU weggeworfen. Laut der NGO Europäisches Umweltbüro (EEB) ist das neun Mal so viel, wie benötigt würde, um die 55 Millionen Europäer, die in Armut leben, zu versorgen. Eine Reduzierung der Nahrungsmittelverschwendung würde gleichzeitig auch zu CO2-Einsparungen und besserer Landnutzung führen, erklärt das EEB.“