Kriegsdienstverweigerung – immer noch aktuell
Sonntag, 01.05.2016
Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) feiert im Juni ihr 60jähriges Bestehen. Obwohl in Deutschland die allgemeine Wehrpflicht seit 2011 ausgesetzt ist, berät die Bonner Stelle weiter – denn der Bedarf ist da.
Etwa 300 neue Fälle von Kriegsdienstverweigerung zählt Jasmin Schwarz von der EAK jedes Jahr. Waren es früher hauptsächlich Wehrpflichtige, die den Dienst an der Waffe verweigerten, so sind es heute aktive Zeit- oder Berufssoldaten, freiwillig Wehrdienstleistende, aber auch Reservisten. "Alle, die mal gemustert worden sind, haben heute noch das Recht, ihren Kriegsdienst zu verweigern", erklärt Schwarz im Interview.
Nach Angaben von Renke Brahms, dem Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland, ist die EAK die einzige noch verbliebene Anlaufstelle für Kriegsdienstverweigerer bundesweit. Jasmin Schwarz spürt das an der gestiegenen Nachfrage: "Also die KDVler, die sich bei uns melden, die fühlen sich sehr oft wirklich allein gelassen. Die haben kaum mehr kompetente Ansprechpartner, nach 2011 sind die ganzen Strukturen zurückgefahren (worden)".
"Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." – So steht es in Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes. Darauf – so Jasmin Schwarz – können sich auch heute noch Soldaten oder Reservisten, die den Dienst an der Waffe verweigern wollen, berufen. Selbst wenn sie schon Monate oder gar Jahre bei der Bundeswehr gedient haben, kann plötzlich ein Gewissenskonflikt auftauchen: "Es können religiöse, spirituelle, aber auch ganz weltliche, moralische Gründe sein, dann kommt der Soldat oder die Soldatin irgendwann in eine Gewissensnot und meldet sich im besten Falle dann erst einmal bei mir."
Eine fundierte juristische Beratung und Begleitung, wie sie die EAK in Bonn bietet, ist wichtig. Zum einen, weil viele Anträge auf Kriegsdienstverweigerung heute vor Gericht entschieden werden und ein solches Verfahren bis zu zwei Jahren dauern kann. Zum anderen aber auch, weil ein Ausscheiden aus der Bundeswehr als Kriegsdienstverweigerer erhebliche Konsequenzen hat. So entfällt zum Beispiel die sonst übliche Wiedereingliederungshilfe ins zivile Leben.
Besonders hart trifft es Soldaten, die bei der Bundeswehr studiert haben, sagt Schwarz: "Alle Studien- bzw. Ausbildungsgebühren muss er der Bundeswehr zurückzahlen und: Er hat keinerlei Anrecht auf Arbeitslosengeld, das heißt, er ist von heute auf morgen Sozialhilfeempfänger (…) und hat gleichzeitig noch mehrere 1000 Euro Schulden." Nach einem Bericht des Evangelischen Pressedienstes (epd) vom 11.8.2015 hat das zuständige Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in den ersten drei Jahren nach Aussetzung der Wehrpflicht 1.411 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung abschließend bearbeitet. Unter den Antragstellern seien alle Dienstgrade vertreten gewesen, auch einige Stabsoffiziere. Die Ablehnungsquote sei zwischen Juli 2011 und 2014 von 15 auf gut 30 Prozent gestiegen.