Luther: die unbekannten Seiten des Reformators
Sonntag, 30.10.2016
Margot Käßmann sieht in Martin Luther unter anderem einen talentierten Seelsorger und fürsorglichen Vater, der Kabarettist Eckart von Hirschhausen nennt ihn einen großartigen Entertainer. Luther hat viele Gesichter - darunter auch ein paar unbekannte.
Die Mehrheit der Deutschen hat Luther vor allem als Kirchenerneuerer und Bibelübersetzer im Gedächtnis. Rund jeder elfte würde Luther gar als Nationalhelden bezeichnen, so die Ergebnisse einer Umfrage des Emnid-Instituts. Doch auch der vermeintliche Held Martin Luther hatte seine Schattenseiten. Zu denen gehört - vor allem aus heutiger Sicht - Luthers Einstellung zum Judentum. Die negative Grundhaltung seiner Zeit, die auch ihn prägte, steigerte sich aus Enttäuschung darüber, dass jüdische Gläubige Christus nicht als Messias annehmen wollten, zum offenen Hass.
Als junger Mann trat er noch dafür ein, "brüderlich mit den Juden zu handeln", und in einem Brief aus dem Jahr 1514 unterstützte er den Humanisten Johannes Reuchlin, der sich gegen die Verbrennung jüdischer Schriften wandte. Doch knapp 30 Jahre später verfasste Luther ein Pamphlet mit dem Titel "Wider die Sabbather", dem 1543 die Hetzschrift "Von den Juden und ihren Lügen" folgte. Jüdische Schulen, Häuser und Synagogen solle man "mit Feuer anstecken und was nicht verbrennen will, mit Erden beschütten, dass kein Mensch ein Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich", schrieb er.
Luther bezeichnete Juden als Feinde und vermutete: "(…) wenn sie uns alle töten könnten, täten sie es gern. (…) Ihr sollt sie nicht leiden, sondern vertreiben". Trotz solch radikaler Aussagen sieht der Journalist Bernd Buchner in einem epd-Artikel Luther nicht als Antisemiten: "Der Reformator steht in der Tradition des christlichen Antijudaismus, der vom modernen Antisemitismus zu unterscheiden ist. Der Begriff »Antisemitismus« entsteht im 19. Jahrhundert und ist mit der falschen Vorstellung verbunden, die Juden seien eine »Rasse«. Bei Luther steht stets der Glaube im Mittelpunkt".
Trotzdem, so Buchner weiter, beriefen sich in der NS-Zeit radikale Antisemiten in Staat und Kirche bevorzugt auf Luther, um ihr rassistisches Gedankengut salonfähig zu machen. Ebnete Martin Luther also den Weg nach Auschwitz? Die meisten Theologen und Kirchenhistoriker lehnen einen Zusammenhang zwischen Luthers Antijudaismus und dem Holocaust ab. Gleichzeitig mahnen sie aber: auch Luthers dunkle Seite darf man nicht vergessen oder verschweigen.
Die Evangelische Kirche in Deutschland stellt in einer Broschüre mit dem Titel "Die Reformation und die Juden" ausführliche Informationen zu diesem Thema bereit. Das 20seitige Heft kann als pdf-Datei hier kostenlos heruntergeladen werden.
Am 31.10.1517 soll Martin Luther im thüringischen Wittenberg 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche angeschlagen haben, mit denen er u.a. den damals üblichen Ablasshandel der katholischen Kirche kritisierte. Die verkaufte damals Sündenvergebung und "einen Platz im Himmel" gegen Geld, um damit z.B. päpstliche Bauwerke in Rom zu finanzieren. Mit seinen Thesen legt sich Luther mit den mächtigsten Herrschern der damaligen Welt an - Kaiser Karl V und Papst Leo X.
Trotz Exkommunikation und Verfolgung bleibt er seinem Glauben treu: "Sündenvergebung kann man nicht mit Geld erkaufen, man kann sie auch nicht durch gute Taten verdienen, und man braucht zur Sündenvergebung auch keine Kirche als vermittelnde Institution. Denn Gott allein vergibt Sünden. Der Mensch wird vor Gott gerecht - so Luther - allein aus Glaube, allein aus Gnade ("solafide, solagratia"). Indem er in nur 11 Wochen das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzt, prägt er nicht nur maßgeblich die Entwicklung der deutschen Sprache, sondern macht die Bibel und ihre Glaubenssätze zum ersten Mal der breiten Masse des Volkes zugänglich, die bis dahin auf die Interpretation der kath. Kirche angewiesen war. Obwohl Luther die Kirche nur reformieren aber zu keinem Zeitpunkt spalten wollte, hat seine Suche nach Wahrheit und seine Standhaftigkeit genau das bewirkt – das Zeitalter der Reformation ist die Geburtsstunde der evangelischen Kirche und wird dort bis heute mit einem Feiertag begangen (Reformationstag am 31.10.).