Medien-Hype: Jeden Tag eine neue Katastrophe
Sonntag, 04.09.2016
Äthiopien erlebt die schwerste Dürre seit 50 Jahren. Dazu Waldbrände in Portugal, Überschwemmungen in den USA und ganz aktuell das schwere Erdbeben in Italien: Eine Katastrophenmeldung jagt die nächste. Was tun?
Angesichts der Nachrichtenlage könnte man denken, die Zahl der Katastrophen und Unglücksfälle würde stetig steigen. Doch das ist ein Irrtum, meint der Kulturforscher Prof. Dr. Gunther Hirschfelder. Früher war es keineswegs besser: "Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Katastrophen. (…) Die meisten Katastrophen, die es in der Menschheitsgeschichte gegeben hat, die haben die Öffentlichkeit gar nicht erreicht. Aber jetzt - im Medien- und Informationszeitalter - sind alle Katastrophen sofort auf dem Bildschirm und wir haben den Eindruck, es gibt nichts anderes als Katastrophen"
Dieser Eindruck wird bei vielen Menschen noch verstärkt, weil sie Angst vor der Zukunft haben. Einerseits spüren sie: so wie bisher kann es nicht weitergehen – andererseits fehlt ihnen aber die Alternative. Hischfelder formuliert das so: "Wir sind reich, wir haben eine unglaublich lange Friedensperiode in Europa hinter uns, und wir haben den Eindruck, all das ist brüchig, all das wird bald vorbei sein. Die großen Katastrophen werden auf uns hereinbrechen. Wir sind eine Gesellschaft ohne Trost. (…) Und wir sehen eine große Katastrophe vor uns, den Tod, der mehr oder weniger nahe ist. Wir verdrängen das permanent und delegieren das auf die Mattscheibe, wo wir dann den Weltuntergang uns anschauen".
Die schiere Zahl der Katastrophenmeldungen und wie sie von den Medien verkauft werden, führt nach Ansicht von Gunther Hirschfelder zu einem stillen Gewöhnungseffekt: "Die großen Katastrophen sind für uns weit draußen. Das ist ein Erdbeben auf Haiti, das ist die Klimaerwärmung, (…) über eine Milliarde Menschen hungern auf dieser Welt täglich – und es langweilt uns fast schon. (…) Und dann gibt es andere Katastrophen, Katastrophen, die uns emotional betreffen, die vielleicht Kleinigkeiten sind. Und das ist eine ganz andere Ebene."
In einer Gesellschaft, in der der persönliche Erfolg ganz weit oben rangiert, kann deshalb schon eine kleine Niederlage im Alltag vom Einzelnen subjektiv als katastrophaler empfunden werden, als ein ausgewachsener Wirbelsturm mit Hunderten von Toten. Hier scheinen sich Regeln und Maßstäbe verschoben zu haben. Der Kulturforscher Prof. Dr. Gunther Hischfelder stellt deshalb die Frage: "Wer gibt denn in dieser Welt noch Orientierung. Die Medien verunsichern uns, die Politik enttäuscht uns. Aber es gibt einen Anker, der ist in der Tat geeignet, viele Menschen emotional abzuholen - nicht nur die Gläubigen - und das ist die Kirche. Weil sie Wertmaßstäbe vorgibt und vorlebt und auch alles ein bisschen relativiert mit der Nachricht: Wir sollen uns nicht immer so wichtig nehmen".
Ein lesenswertes Essay zum Thema "Katastrophen-Hype", geschrieben von dem Medienwissenschaftler Norbert Bolz, finden Sie im Online-Portal der evangelischen Zeitschrift "CHRISMON"