Mitgliederschwund: düstere Kirchen-Prognose

von Caroline Peter

Donnerstag, 30.05.2019

ein Kind wird getauft
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Weil immer mehr Eltern ihre Kinder nicht mehr automatisch taufen lassen, fehlt den Kirchen zunehmend der Nachwuchs.

Laut der Freiburger Studie "Kirche im Umbruch" werden die beiden großen Kirchen in Deutschland bis zum Jahr 2060 etwa 50% ihrer Mitglieder verlieren. Grund dafür ist nicht nur der demographische Wandel. Lässt sich der Trend stoppen und wenn ja: wie?

Die Mitte Mai 2019 vorgestellte Studie war von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz selbst in Auftrag gegeben worden. Ihr wichtigstes Ergebnis: Die Zahl evangelischer und katholischer Kirchenmitglieder wird sich von heute insgesamt knapp 45 Millionen bis zum Jahr 2060 auf etwa 22,7 Millionen halbieren. Die Vorhersage stützt sich einerseits auf die Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes, die weiterhin von einem demographischen Wandel ausgeht, der gekennzeichnet ist durch viele Sterbefälle bei sinkender Geburtenrate.

Hinzu kommt andererseits, dass auch die Verbundenheit mit den Kirchen stetig sinkt. Immer weniger evangelische Eltern lassen ihre Kinder taufen, so dass es der Kirche an gläubigem Nachwuchs fehlt. Und viele verlassen die Kirche, wenn sie ihr erstes Geld verdienen und damit Kirchensteuer zahlen müssen. Für Bernd Jünemann, Finanzchef des katholischen Erzbistums Berlin, sei die wichtigste Botschaft der Studie, dass beide Kirchen die Entwicklung jetzt noch beeinflussen könnten. Ähnlich äußerte sich auch sein evangelischer Kollege Andreas Barner, Mitglied im Rat der EKD: Wenn man das Austrittsverhalten beeinflussen wolle, müsse die Kirche jetzt aktiv werden, sagte Barner dem Evangelischen Pressdienst (epd).

Die Theologie-Professorin Dr. Isolde Karle ist skeptisch, ob es den Kirchen gelingen kann, den Mitgliederschwund zu stoppen: "Insgesamt ist es so, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sich auf jeden Fall stärker und weiter säkularisiert, weil eben inzwischen die Teilnahme an allen möglichen Funktionssystemen unabhängig von Religion möglich ist. Ich muss nicht mehr Kirchenmitglied sein, um ein Parteiamt übernehmen zu können oder um ein Geschäft erfolgreich führen zu können. Religion war noch nie so freiwillig.“

In der Evangelischen Kirche im Rheinland wähnt man sich bereits auf dem richtigen Weg. Sie veröffentlichte als Reaktion auf die Prognose-Studie eine Pressemitteilung, in der es unter anderem heißt: "Wir fühlen uns in unseren Bemühungen bestärkt, Kirche verstärkt in neuen Formen näher zu den Menschen zu bringen. (…) Bei der Tagung der Landessynode im Januar dieses Jahres wurde (…) ein Programm für innovative Initiativen aufgelegt. In den kommenden zehn Jahren gibt die rheinische Kirche, die 687 Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarland umfasst, dafür sechs Millionen Euro aus und schafft zusätzlich für diesen Zweck fünf neue Pfarrstellen. Das macht insgesamt ein Finanzvolumen von rund zwölf Millionen Euro. Es geht dabei um ergänzende Formen des Kircheseins, also zusätzlich zum Gemeindeleben oder zu speziellen Diensten wie der Krankenhausseelsorge. Anregungen für neue sogenannte Erprobungsräume stammen unter anderem aus der Fresh-Expressions-Bewegung der anglikanischen Kirche in Großbritannien. Die beschlossenen Fördermittel für Erprobungen sind Anschubfinanzierungen. Kirchengemeinden, Kirchenkreise, Gemeinschaften und Initiativen erhalten für die Dauer von zehn Jahren von der Landeskirche Projektmittel bis zur Hälfte der entstehenden Personal- und Sachkosten."

Beispiel für neue Formen von Kirche und Gemeindeleben sind zum Beispiel das "raumschiff.ruhr" in Essen und "Die Beymeister" in Köln.

Bereits neun Jahre zuvor hatte die rheinische Landeskirche mit dem Leitbild "Missionarisch Volkskirche sein" einen Aufbruch gewagt. In einer pluralen Gesellschaft, in der die Bindungskraft des tradierten Christentums nicht mehr selbstverständlich sei, gewinne die Mission und das Zugehen auf Menschen immer stärker an Bedeutung, sagte damals die amtierende Vizepräses Petra Bosse Huber. Der Auftrag, die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten "an alles Volk“, stelle die Frage nach der eigenen Haltung: "Reicht das, was wir machen? Übersehen wir nicht ganz viele gesellschaftliche Felder? Haben wir Menschen aus dem Blick verloren?“

Betrachtet man die nackten Zahlen, ist dieser Aufbruch aus dem Jahr 2010 gescheitert. Die Evangelische Kirche im Rheinland hatte damals noch 2,9 Millionen Mitglieder, Ende 2017 waren es 2,54 Millionen. Und die Zahl der Kirchengemeinden im Gebiet der EKiR ist durch Fusionen ebenfalls gesunken: von 809 Gemeinden im Jahr 2006 auf aktuell 687. Für die Theologie-Professorin Dr. Isolde Karle ist diese Entwicklung weg von den Ortsgemeinden fatal: "Ich denke, dass es ganz wichtig ist, dass Kirche dezentral präsent ist, dass ich Vertretern von Kirche zufällig begegnen kann, auch beim Einkaufen (...) Weil je weiter Kirche weg ist, je weniger ist sie tatsächlich auch für gerade kirchendistanzierte Kirchenmitglieder dann auch präsent und greifbar, und insofern glaube ich, dass diese Vision, dass man besonders an den Ortsgemeinden sparen müsse, schlicht falsch war."

Donnerstag, 30.05.2019