Mitgliederschwund: Hat die Kirche noch Zukunft?
Sonntag, 23.01.2022
1965 waren noch 95,4% aller Deutschen Mitglied in der evangelischen oder katholischen Kirche. Im laufenden Jahr droht ihre Zahl erstmals unter die 50%-Grenze zu rutschen. Und die Entwicklung wird sich laut einer Studie der Uni Freiburg weiter fortsetzen.
Gesicherten Zahlen zufolge lebten im Jahr 2020 in Deutschland noch 22,2 Mio. katholische und rund 20,1 Mio. evangelische Christen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung betrug zusammen 51%. Doch beide großen Kirchen gehen düsteren Zeiten entgegen. Eine im Mai 2019 vorgestellte Studie des Forschungszentrums Generationenverträge an der Universität Freiburg geht davon aus, dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder beider Konfessionen bis zum Jahr 2060 halbieren wird – auf zusammen dann nur noch 22,7 Millionen.
Die im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erstellte Studie liefert den beiden Konfessionen nicht nur reichlich Zahlenmaterial, sondern zugleich auch Gründe für die zu erwartenden Entwicklungen. So hat der Mitgliederschwund zum einen demografische Gründe, zum anderen spielen aber auch kirchenspezifische Faktoren eine Rolle. Auf der Internetseite der EKD heißt es dazu u.a.:
„Die zukünftig zu erwartenden evangelischen Sterbefälle überwiegen bei weitem die Zahl der evangelischen Zuwanderer aus dem Ausland sowie die Zahl der Kinder, die von evangelischen Müttern zur Welt gebracht werden. Dieser Überhang an Sterbefällen über Geburten und Zuwanderung führt dazu, dass sich die Mitgliederzahlen bis 2060 um 24 Prozentpunkte verringern werden. Die Folgen des demografischen Wandels sind jedoch nicht allein für den Mitgliederrückgang verantwortlich. (…) Etwas mehr als die Hälfte des Mitgliederrückgangs basiert auf anderen Einflussfaktoren: dem Tauf-, Austritts- und Aufnahmeverhalten in die evangelische Kirche. Es werden nämlich nicht alle Kinder von evangelischen Müttern evangelisch getauft. Zusätzlich treten mehr Menschen aus der Kirche aus als in die Kirche ein. Setzt sich diese Entwicklung weiter fort, vergrößert sich der Mitgliederrückgang um weitere 28 Prozentpunkte. In der Summe bedeutet dies, dass die evangelische Kirche bis 2060 52 Prozent ihres Mitgliederstandes von 2017 verloren haben wird.“
Für die Kirche doppelt schmerzhaft ist der hohe Anteil von jungen Menschen, die aus der Kirche austreten. Besonders die Altersgruppe der 20- bis 35Jährigen sticht hier heraus. Ihr Austritt hängt oft mit dem Eintritt ins Erwerbsleben und damit auch mit der ersten Kirchensteuerzahlung zusammen. Da in diese Lebensphase oft auch die Gründung einer Familie fällt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass nach einem Austritt von Vater oder Mutter die Kinder nicht (mehr) getauft und damit auch nicht Kirchenmitglied werden.
Mit dem kontinuierlichen Rückgang der Kirchenmitgliedschaft ist zugleich auch ein Rückgang bei den Kirchensteuereinnahmen verbunden. Fabian Peters, der die Freiburger Studie mit erstellt hat, sagt dazu in einem Interview auf der Website der EKD: „Steigende Arbeitseinkommen der Kirchenmitglieder führen zwar auf der einen Seite zu höheren Kirchensteuereinnahmen. Da auf der anderen Seite zugleich der überwiegende Anteil der kirchlichen Ausgaben für Personal benötigt wird, sind damit auch höhere Personalausgaben verbunden. Die sinkende Zahl an Kirchensteuerzahlern wird dazu führen, dass die Einnahmen nicht im gleichen Maße wachsen wie die Ausgaben. Etwas abmildern wird diese Entwicklung die 2005 vom Gesetzgeber sukzessive eingeführte nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften – das wird die grundsätzliche Entwicklung aber nicht aufhalten. Wir kommen in unseren Berechnungen zu dem Ergebnis, dass die Kirchensteuerkraft kontinuierlich sinkt.“
Mehr Zahlen und Grafiken zur Entwicklung der Kirchenmitgliedschaft bis 2060 gibt es unter https://fowid.de/meldung/ekd-und-katholiken-deutschland-jahr-2060