Pastor im Ehrenamt: Vom Jobcenter auf die Kanzel
Sonntag, 27.06.2021
Als Uwe Tervooren aus Mönchengladbach sein Theologiestudium abschloss, herrschte gerade eine „Pfarrerschwemme“: Es gab viele Bewerber, aber kaum freie Pfarrstellen. Tervooren musste umsatteln – und steht heute trotzdem auf der Kanzel.
Der 62Jährige ist Pastor im Ehrenamt. Seine Brötchen verdient er mit einem ganz weltlichen Job: „Ich bin Arbeitsvermittler im Job-Center und arbeite dort mit jungen Menschen bis 25, die - aus welchen Gründen auch immer - in die Arbeitslosigkeit und damit in den Bezug von Hartz IV gefallen sind.“ Eine Situation, die Tervooren aus eigener Erfahrung kennt: „Als ich nämlich nach meinem Studium der Theologie und dem Probedienst, wie es ganz normal vorgesehen ist im Kirchengesetz, entlassen wurde, da habe ich auch Arbeitslosengeld II, Hartz IV bezogen. Und von daher weiß ich selbst: Das ist finanziell gesehen ziemlich bitter.“
Zu Beginn seiner ehrenamtlichen Pastorentätigkeit hat Uwe Tervooren Pfarrer in verschiedenen Gemeinden vertreten und dort Gottesdienste gefeiert. Heute kann er sich ganz auf eine Gemeinde konzentrieren. Pro Jahr steht er an etwa 20 Sonntagen auf der Kanzel. Trauerfeiern und Beerdigungen kann er dagegen nur selten übernehmen, denn die finden in der Regel werktags statt, und zu dieser Zeit muss Tervooren im Jobcenter sein.
Dass ein voll ausgebildeter Theologe wie er nach zehn bis 14 Semestern Studium nur ehrenamtlich als Prediger tätig ist, ist außergewöhnlich. Der umgekehrte Fall ist dagegen durchaus gängig – zumindest in der evangelischen Kirche. Während in der katholischen Kirche die Feier des Gottesdienstes und die Verwaltung der Sakramente (z.B. Taufe und Abendmahl) ausschließlich geweihten männlichen Priestern vorbehalten ist (Dogma von der Apostolischen Sukzession), können in der evangelischen Kirche auch ganz normale Gemeindemitglieder nach einer "Zurüstung" vollgültige Gottesdienste leiten, taufen, trauen und beerdigen – ohne ein volles Theologiestudium nachweisen zu müssen.
Theologische Grundlage hierfür ist das von Martin Luther geprägte reformatorische Verständnis vom "Priestertum aller Gläubigen". Gestützt wird dieses Verständnis durch Jesu Handeln, der selber "Laien" (Apostel) eingesetzt hat, damit sie seine Botschaft weitersagen.
Je nach Landeskirche heißen solche "ehrenamtlichen Pfarrer/innen" entweder Laienprediger, Predigthelfer, Prädikanten oder auch Ältestenprediger. Die Verfahren sind z.T. von Landeskirche zu Landeskirche unterschiedlich. In Westfalen und im Rheinland können Gemeindeglieder, "welche die Gabe der Verkündigung und einen guten Ruf in der Gemeinde haben", sich bei ihrem Presbyterium melden und ihr Interesse bekunden. Unterstützt die Gemeindeleitung die Bewerbung, werden Stellungnahmen des Ortspfarrer und des Superintendenten (leitender Pfarrer des Kirchenkreises) eingeholt und schließlich der Antrag auf Ausbildung zum Predigthelfer bei der zuständigen Landeskirche eingereicht. Diese entscheidet dann über die Zulassung zur Ausbildung. Das Mindestalter für die Bewerber beträgt in der Regel 25 Jahre.
Ist diese Hürde genommen, werden die angehenden Predigthelfer/innen in mehreren Seminaren geschult. Die Ausbildung erstreckt in der Regel über ein bis zwei Jahre und umfasst neben der Homiletik (Predigtlehre) und Liturgik (Gottesdienstablauf und –gestaltung) auch die Vermittlung von theologischem Basiswissen. Sie ist kostenlos, wobei die entsendenden Gemeinden gebeten werden, die Fahrtkosten ihrer Kandidaten zu übernehmen. Am Ende der Ausbildung steht ein Probegottesdienst in der Gemeinde, der von den Ausbildern oder dem Superintendenten beurteilt wird. Anschließend kann die Empfehlung zur Ordination ausgesprochen und beim Landeskirchenamt beantragt werden. Abschluss und Höhepunkt der Ausbildung ist dann ein feierlicher Ordinationsgottesdienst, bei dem die Predigthelfer auf die evangelischen Bekenntnisse vereidigt und offiziell mit Wortverkündigung, Seelsorge und der Verwaltung der Sakramente beauftragt werden.