Regelsätze endlich realistisch berechnen

von Joachim Gerhardt

Sonntag, 06.02.2022

Hartz-4-Schriftzug mit Euromuenzen
Beitrag anhören

Das Arbeitslosengeld II, auch Hartz IV genannt, wurde 2005 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eingeführt. (Foto: Pixabay)

Die 3,8 Millionen Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) erhalten seit dem 1.1.2022 mehr Geld. Die Regelsätze wurden je nach Alter um zwei bis drei Euro angehoben. Ein Alleinstehender bekommt monatlich 449 Euro, Paare pro Partner jeweils 404 Euro.

Die Regelsätze für Kinder richten sich nach dem Alter und liegen zwischen 285 Euro (für 0 bis 5jährige) und 376 Euro (für 14 bis 17jährige). Neben den Regelsätzen für Erwachsene und Kinder zahlt das Jobcenter auch die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie (größtenteils) die Kosten für Kaltmiete, Heizung und Nebenkosten, nicht jedoch die Kosten für Strom, Internet und Telefon. Schulpflichtige Kinder und Jugendliche erhalten außerdem im ersten Schulhalbjahr 104 Euro und für das zweite Schulhalbjahr 52 Euro für die Anschaffung von Lehrbüchern und anderem Schulmaterial. Das Bildungs- und Teilhabepakte sieht für Kinder/Jugendliche weitere Leistungen vor, die aber größtenteils eigens beantragt werden müssen.

Das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) soll – ebenso wie die Sozialhilfe und die Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung - das Existenzminimum eines Menschen sichern. Wohlfahrtsverbände wie Diakonie und Caritas kritisieren die Regelsätze aber schon lange als zu niedrig: "Die Hartz IV-Sätze sind deutlich zu niedrig, um damit eine vernünftige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen", sagt etwa der Geschäftsführer der Diakonie Bonn, Ulrich Hamacher.

Für zusätzlichen Druck sorgt zum einen die anhaltend hohe Inflationsrate, die Dinge des täglichen Bedarfs und insbesondere auch Lebensmittel immer teurer werden lässt. Zum anderen sind die Preise für Energie (Tanken, Heizöl, Erdgas, Strom) in den vergangenen Monaten geradezu explodiert. In den seit dem 1.1.2022 gültigen Regelsätzen hat sich dies alles aber nicht niedergeschlagen. Dafür floss aber u.a. das 2. Halbjahr 2020 in die Berechnung der neuen Sätze mit ein - also die sechs Monate, in denen die Regierung die Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent gesenkt hatte. Das hatte damals auf breiter Front Preissenkungen zur Folge, die den Hartz-4-Empfängern nun zum Verhängnis werden: Die Regelsatz-Erhöhungen zum Jahreswechsel betrugen gerade einmal 0,76%, während die Inflationsrate im Dezember 2021 bei 5,3% lag.

Die seit dem 1.1.2022 gültigen Sätze wurden noch von alten Bundesregierung im September 2021 verabschiedet. Doch bereits im Juli 2021 lag die Inflationsrate bei 3,8%. Kritikern zufolge hätte die Regierung das zwingend berücksichtigen müssen. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf einschlägige Urteile des Bundesverfassungsgerichts, das schon 2014 festgestellt hatte: "Sobald der Gesetzgeber Kenntnis von »Unterdeckungen existenzieller Bedarfe« habe, »müsse er darauf reagieren, um sicherzustellen, dass der aktuelle Bedarf gedeckt« sei." 

Hätte man bei der jüngsten Anhebung der Regelsätze einen Inflationsausgleich berücksicht, so hätte allein das eine Erhöhung um 20 Euro bedeutet, so Diakonie-Geschäftsführer Ulrich Hamacher. Wären außerdem die gestiegenen Energiekosten in die Neuberechnung eingeflossen, so hätten die Regelsätze um mindestens 50 Euro angehoben werden müssen. Dies – so Hamacher – hätte nur den aktuellen Status Quo gehalten und noch keine Verbesserung der Lebenssituation für Hartz-4-Bezieher bedeutet. Für eine menschenwürdige und gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben müssten die Regelsätze nach Ansicht des Diakonie-Chefs um 150 bis 200 Euro pro Monat erhöht werden: "Und insbesondere fordern wir eine Kindergrundsicherung in der Größenordnung von mindestens 500 Euro pro Monat, die sicherstellt, dass wenigstens die Kinder ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sicherstellen können."

Unter der rot-grünen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder trat am 1. Januar 2005 die sogenannte Hartz-Reform in Kraft, bei der u.a. die bisherige Sozial- und Arbeitslosenhilfe zur "Grundsicherung für Arbeitssuchende" zusammengelegt wurden. Zuständig dafür war die von Schröder eingesetzte "Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" unter ihrem Vorsitzenden, dem damaligen VW-Personalvorstand Peter Hartz. Diese Kommission hatte ursprünglich höhere Regelsätze vorgeschlagen. In einem Interview mit der Zeitung "Tagesspiegel" machte Peter Hartz Ende 2014 deutlich: "Wir wollten diese Kürzungen nicht. Die Kommission hat einstimmig vorgeschlagen, die Leistung beim durchschnittlichen Betrag der Arbeitslosenhilfe festzusetzen. Das wären 511 Euro im Monat gewesen. Die Politik hat sich für das Niveau der Sozialhilfe entschieden, der Regelsatz landete bei 345 Euro."

Die Interessengemeinschaft Sozialrecht e.V. mit Sitz in Berlin hat unter dem Titel "Hartz IV: Alles, was Sie wissen müssen!" eine Ratgeber-Broschüre herausgegeben. Hier finden Interessierte u.a. wichtige Informationen zur Antragsstellung, HartzIV-Bescheiden, bestehendes Vermögen, Nebenverdienste uvm. Die Broschüre steht unter http://www.hartz4hilfthartz4.de/ratgeber.pdf zum kostenlosen Download bereit.

Sonntag, 06.02.2022