Religionen: Friedensstifter oder Brandstifter?
Sonntag, 27.12.2020
Zu den Kernbotschaften der meisten Religionen gehören Frieden und Gerechtigkeit. Doch weltweit wird im Namen des Glaubens auch immer wieder Gewalt ausgeübt. Die christlichen Kreuzzüge waren da nicht anders, als es islamistische Terrorangriffe heute sind.
In Indien werden Christen und Muslime von der Bevölkerungsmehrheit der Hindus bedrängt. In Amerika haben es evangelikale Christen auf Abtreibungsbefürworter abgesehen, und in manchen muslimischen Staaten wird der Übertritt vom Islam zum Christentum mit dem Tode bestraft. In allen Fällen zeigt sich das zwiespältige Verhältnis von Religion und Gewalt. Ein gemeinsamer Glaube ist einerseits identitätsstiftend und stärkt den sozialen Zusammenhalt. Andererseits kann genau das auch zur Ausgrenzung von Fremden oder Andersgläubigen führen. Spannungen und ein Gefühl „Wir gegen die“ entsteht.
Richtig ist aber auch, dass hinter vielen vermeintlich religiösen Konflikten in Wirklichkeit handfeste ethnische, ökonomische oder politische Interessen stehen. Ein Beispiel hierfür ist der Nordirland-Konflikt bzw. der Kampf der Iren um die Einheit ihrer Insel. Der wurde (und wird) oft als Konfrontation zwischen Katholiken und Protestanten beschrieben. Doch im Kern geht es um politische Ansichten und Ziele, für die die jeweiligen Konfessionen stellvertretend stehen: Auf der einen Seite die Nordiren. Als Nachfahren britischer Eroberer und Einwanderer sind sie überwiegend protestantisch oder anglikanisch geprägt und haben eine enge kulturelle und geschichtliche Verbindung zu Großbritannien. Auf der anderen Seite stehen die Bewohner der Republik Irland. Sie sind traditionell katholisch und aufgrund einer Jahrhunderte alten Leidensgeschichte anti-britisch eingestellt.
Religiös verbrämt ist nach Ansicht des Theologen und Archäologen Prof. Dr. Dieter Vieweger auch der Nahost-Konflikt, der oft verkürzt als Streit zwischen Juden und Muslimen dargestellt wird. Im Interview mit dem Kirchenmagazin „Himmel & Erde“ sagte Vieweger 2018: „Dieses ständige Gegeneinander (...) ist nicht eine Frage der Religion, sondern es ist eine Frage von zwei Völkern und einem Land. Da geht es um ganz viel: um Land, um Macht, es geht um Ressourcen, um Wasser, es geht auch um viel Geld – und wenn sie diesen Konflikt lösen wollen (…) dann werden sie Riesenzugeständnisse machen müssen. Gefühlt müssen beide Seiten mehr als 50% abgeben, damit sie sich überhaupt IRGENDWO noch treffen. (…) das geht ja. Man muss es aber wollen. Es gibt so viele Versöhnungsbereite auf beiden Seiten, aber die Scharfmacher, die Nationalisten auf beiden Seiten die wollen alles. Und vielleicht werden sie damit auch alles verspielen.“
Unter dem Strich lässt sich wahrscheinlich festhalten: Keine Religion ist per se kriegerisch oder friedensstiftend – es kommt auf die Menschen an, die der jeweiligen Religion anhängen. Martin Bauschke verweist auf religiöse Friedensstifter wie Mahatma Gandhi, Itzchak Rabin, Martin Luther King oder Desmond Tutu. in einem Aufsatz für das Mitteilungsblatt „Notizen“ des Berliner Paul Gerhardt Stifts schreibt Bauschke 2014 : „Religiöse Menschen können lichtvolle Akteure des Friedens, des Dialogs und des sozialen Engagements sein. Auf der anderen Seite gibt es auch das Grauenvolle: dort, wo religiöse Menschen »im Namen Gottes« Hass predigen, zu Gewalt aufrufen und bereit sind, als »Heilige Krieger« zu kämpfen.“
Diese Erkenntnis sei nicht neu, erklärt Martin Bauschke und erinnert an das Buch „Projekt Weltethos“ des katholischen Theologen Hans Küng aus dem Jahr 1990. Dort seien drei Eingangsthesen formuliert: „Kein Überleben ohne Weltethos. Kein Weltfriede ohne Religionsfriede. Kein Religionsfriede ohne Religionsdialog.“ Daraus schließt Bauschke: „Der christlich-muslimische Dialog ist (..) der wichtigste aller denkbaren interreligiösen Dialoge. Denn beide Religionen machen zusammen nahezu die Hälfte der Weltbevölkerung aus.“ Den kompletten Aufsatz gibt es hier als PDF: https://www.weltethos.org/1-pdf/00-aktuell/deu/Religionen_als_Friedensstifter.pdf