Schulden: Der 1. Schritt raus ist der Schwierigste

von Friederike Ursprung & Manfred Rütten

Donnerstag, 16.06.2022

geöffnetes Portemonnaie ist leer
Beitrag anhören

Wenn die finanziellen Verpflichtungen höher sind als das Einkommen, spricht man von Überschuldung. (Foto: Pixabay)

6,1 Millionen Bundesbürger über 18 Jahre sind aktuell überschuldet, d.h., ihre finanziellen Verpflichtungen sind höher als ihr regelmäßiges Einkommen. Die Summe, die sie zurückzahlen müssten, beläuft sich auf insgesamt 202 Milliarden Euro (Stand 2020).

Im Schnitt schiebt damit jeder Betroffene einen Schuldenberg von 29.500 Euro vor sich her. Die Ursachen für eine Überschuldung sind sehr unterschiedlich. In nur etwa 15% aller Fälle geraten Menschen in eine Überschuldung, weil sie schlicht und einfach über ihre Verhältnisse gelebt haben. Sehr viel häufiger liegen die Gründe woanders, so das Statistische Bundesamt in einer Pressemitteilung vom 25. Mai 2022: „Hauptauslöser der Überschuldung war der Verlust des Arbeitsplatzes (19,9 %). Aber auch andere äußere Ereignisse, wie zum Beispiel Erkrankung, Sucht oder Unfall (zusammen 16,9 %) beziehungsweise Trennung, Scheidung sowie der Tod der Partnerin oder des Partners (zusammen 12,2 %) führten häufig zu kritischen finanziellen Situationen. Jede zehnte beratene Person geriet aufgrund von längerfristigem Niedrigeinkommen (10,0 %) in die Überschuldung.“

Wie schnell aus Schulden eine Überschuldung werden kann, weiß auch Marco Ringeis von der Erwerbsloseninitiative der Diakonie Leipzig: „In der Pandemie haben wir das erlebt: Jemand, der arbeiten geht, bestimmte Verpflichtungen eingegangen ist, weil er ein gesichertes Einkommen hat, ist plötzlich in die Kurzarbeit gefallen. Das Einkommen ist deutlich reduziert, und dann kann aus einer Verschuldung, die da war schon, auch ganz schnell eine Überschuldung werden.“ Der erste und wichtigste Schritt aus der Schuldenfalle ist zugleich auch der Schwierigste, so Ringeis: „Sich einzugestehen: Ich wird´ mit meiner finanziellen Lage nicht mehr fertig und ich brauche an der Stelle Hilfe. Diese Scham zu überwinden, diesen ersten Schritt zu machen, in die Beratungsstelle zu gehen - das ist die große Herausforderung.“

Bei der Wahl der Schuldnerberatungsstelle sollte man jedoch genau hinschauen, denn der Begriff „Schuldnerberater“ ist nicht gesetzlich geschützt. Theoretisch kann sich also jeder so nennen. Seriöse Anlaufstellen sind die gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen von Diakonie, Caritas, AWO und anderen Wohlfahrtsverbänden, der Verbraucherzentralen sowie staatlich angebotene Beratungsstellen, etwa auf kommunaler oder Kreisebene. Der Vorteil dieser Stellen: Die Beratung ist hier in der Regel kostenlos. „Es gibt aber tatsächlich auch private Firmen, Kanzleien, die Schuldnerberatung kostenpflichtig anbieten“, sagt Schuldenexperte Marco Ringeis. „Da ist ein Erstgespräch kostenfrei und alles, was danach passiert, muss ich bezahlen. Was natürlich in sich ein bisschen schwierig ist, wenn ich eigentlich in einer Situation bin, wo ich kein Geld habe.“

Grundsätzlich steht die Schuldnerberatung allen Menschen offen. Die gemeinnützigen Beratungsstellen erhalten für ihre Arbeit eine Fallpauschale, die der Staat zahlt. Allerdings – so kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband NRW: „Einige Kommunen in NRW finanzieren die Schuldnerberatung demnach nur für Menschen, die Hartz IV oder Sozialhilfe erhalten.“ Anlässlich der Aktionswoche Schuldnerberatung vom 30. Mai bis 3. Juni 2022 forderte der Verband deshalb von der neuen Landesregierung, einen allgemeinen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung zu schaffen. Die Beratung müsse allen überschuldeten Menschen gleichermaßen garantiert werden.

Dass der Gesetzgeber Erwerbstätige und Rentner in der Schuldnerberatung beispielsweise anders behandelt als Hartz-IV-Empfänger, kritisiert auch Marco Ringeis von der Erwerbsloseninitiative der Diakonie Leipzig: „Ich bin der Meinung, dass wir Schuldnerberatung nicht nach Einkommensarten oder Grenzen anbieten sollen, sondern nach Beratungsbedarf. Wer einen Beratungsbedarf hat, der soll auch Beratung bekommen.“

Auch die Diakonie Deutschland dringt auf Änderungen: „Die Finanzierung ist […] bundesweit sehr uneinheitlich und speist sich aus vielen unterschiedlichen Quellen. Auch für präventive Arbeit gibt es nicht genügend finanzielle Ressourcen. Zudem kritisiert die Diakonie Deutschland, dass nicht alle Menschen in einer schuldenbedingten Notlage grundsätzlich offenen Zugang zur gemeinnützigen Schuldnerberatung haben. Diese Situation führt dazu, dass nur 10 bis 15 Prozent der überschuldeten Haushalte überhaupt beraten werden können.“

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es in Deutschland mehr als 1.400 gemeinnützige Schuldnerberatungsstellen. Davon gehören 262 Schuldnerberatungsstellen zur Diakonie. Die bietet auf der Internetseite https://www.diakonie.de/wissen-kompakt/schuldnerberatung ausführliche Informationen zum Thema. Die Caritas Deutschland bietet eine erste Schuldnerberatung online an und stellt unter https://www.caritas.de/hilfeundberatung/onlineberatung/schuldnerberatung/adressen eine Suche nach der nächstgelegenen Schuldnerberatungsstelle zur Verfügung.

Donnerstag, 16.06.2022