Schuldnerberatung: Pleite kann jeden treffen
Sonntag, 04.02.2024
5,9 Millionen Bundesbürger über 18 Jahre sind aktuell überschuldet, d.h., ihre finanziellen Verpflichtungen sind höher als ihr regelmäßiges Einkommen. Die Summe, die sie zurückzahlen müssten, beläuft sich auf insgesamt 182 Milliarden Euro (Stand 2023).
Im Schnitt schiebt damit jeder Betroffene einen Schuldenberg von 30.900 Euro vor sich her. Die Ursachen für eine Überschuldung sind sehr unterschiedlich. In nur etwa 16% aller Fälle geraten Menschen in eine Überschuldung, weil sie schlicht und einfach über ihre Verhältnisse gelebt haben. Sehr viel häufiger liegen die Gründe woanders, wie der SchuldnerAtlas Deutschland 2023 zeigt: Hauptauslöser der Überschuldung war der Verlust des Arbeitsplatzes (19%), gefolgt von Erkrankung, Sucht oder Unfall (zusammen 18%). Auch Trennung, Scheidung sowie der Tod der Partnerin oder des Partners (zusammen 12%) führten häufig zu kritischen finanziellen Situationen. Bei ebenfalls 12 % der Fälle führte ein längerfristiges Niedrigeinkommen in die Überschuldung. Grundsätzlich sind laut SchuldnerAtlas einkommensschwache Personen stärker von Überschuldung betroffen.
Wie schnell aus Schulden eine Überschuldung werden kann, weiß auch Marco Ringeis von der Erwerbsloseninitiative der Diakonie Leipzig: „In der Pandemie haben wir das erlebt: Jemand, der arbeiten geht, bestimmte Verpflichtungen eingegangen ist, weil er ein gesichertes Einkommen hat, ist plötzlich in die Kurzarbeit gefallen. Das Einkommen ist deutlich reduziert, und dann kann aus einer Verschuldung, die da war schon, auch ganz schnell eine Überschuldung werden.“ Der erste und wichtigste Schritt aus der Schuldenfalle ist zugleich auch der Schwierigste, so Ringeis: „Sich einzugestehen: Ich wird´ mit meiner finanziellen Lage nicht mehr fertig und ich brauche an der Stelle Hilfe. Diese Scham zu überwinden, diesen ersten Schritt zu machen, in die Beratungsstelle zu gehen - das ist die große Herausforderung.“
Bei der Wahl der Schuldnerberatungsstelle sollte man jedoch genau hinschauen, denn der Begriff „Schuldnerberater“ ist nicht gesetzlich geschützt. Theoretisch kann sich also jeder so nennen. Seriöse Anlaufstellen sind die gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen von Diakonie, Caritas, AWO und anderen Wohlfahrtsverbänden, der Verbraucherzentralen sowie staatlich angebotene Beratungsstellen, etwa auf kommunaler oder Kreisebene. Der Vorteil dieser Stellen: Die Beratung ist hier in der Regel kostenlos. „Es gibt aber tatsächlich auch private Firmen, Kanzleien, die Schuldnerberatung kostenpflichtig anbieten“, sagt Schuldenexperte Marco Ringeis. „Da ist ein Erstgespräch kostenfrei und alles, was danach passiert, muss ich bezahlen. Was natürlich in sich ein bisschen schwierig ist, wenn ich eigentlich in einer Situation bin, wo ich kein Geld habe.“
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es in Deutschland mehr als 1.400 gemeinnützige Schuldnerberatungsstellen. Davon gehören 262 Schuldnerberatungsstellen zur Diakonie. Die bietet auf ihrer Internetseite ausführliche Informationen zum Thema. Die Caritas Deutschland bietet eine erste Schuldnerberatung online an und stellt unter https://www.caritas.de/hilfeundberatung/onlineberatung/schuldnerberatung/adressen eine Suche nach der nächstgelegenen Schuldnerberatungsstelle zur Verfügung.
Schuldenexperte Marco Ringeis empfiehlt Menschen, die finanziell in der Klemme stecken, sich Hilfe bei einer anerkannten, gemeinnützigen Schuldnerberatungsstelle zu suchen – und das besser früh als zu spät: „Dieser erste Schritt in die Schuldnerberatung, dieses erste Gespräch hat oft eine sehr entlastende Funktion bei den Klienten: »Ich kann das abladen. Ich kann es einfach da lassen«. In der Schuldnerberatung übernehmen wir auch zum Beispiel den Schriftverkehr für die Schuldner. Also die gesamte Post der Gläubiger geht hier in der Einrichtung ein und wird dann geprüft und mit dem Klienten besprochen.“
Dabei kommt alles auf den Prüfstand, sagt Marco Ringeis: „Dann geht es darum, im zweiten Schritt zu gucken: Was sind noch für Schulden da? Das zu sortieren, zu bewerten und auch zu prüfen. Sind es überhaupt auch alles rechtmäßige Forderungen, die von den Gläubigern kommen? Gerade wenn Inkasso-Unternehmen ins Spiel kommen, muss man sehr genau gucken, was den Schuldnern da übertragen wird.“
In Verhandlungen mit den Gläubigern werden dann konkrete Zahlungspläne entwickelt und verabredet. Damit dem Schuldner auf jeden Fall genug zum Leben bleibt, kann ein sogenanntes Pfändungsschutzkonto eingerichtet werden. So kommen die Klienten langsam aber sicher runter von ihrem Schuldenberg. Aber das ist noch nicht das Ende, so Marco Ringeis: „Das ist sozusagen der dritte Schritt, noch mal zu gucken, in so einer Haushalts- und Budgetberatung: »Wie viel Einkommen habe ich eigentlich jetzt, was kann ich mir davon leisten und wovon muss ich mich vielleicht auch trennen?«“
Immer wieder gibt es aber auch Fälle, in denen dieses Verfahren angesichts der Schuldenhöhe nicht greift. Dann – so Ringeis - kann die Schuldnerberatung eine Privat- oder auch Verbraucherinsolvenz in die Wege leiten, „wo es darum geht, einen Schnitt zu machen und die Schulden, die da sind, zu erlassen. Das passiert in den Fällen, wo einfach klar ist: Der kann das nicht mehr abbauen. Der wird ewig sonst mit diesen Schulden sein Leben bestreiten müssen. Und diesen Menschen eine neue Chance zu bieten und zu sagen: unter bestimmten Voraussetzungen gibt´s einen Neuanfang.“
Eine dieser Voraussetzungen ist die sogenannte „Wohlverhaltensperiode“. Die dauert heute je nach Zeitpunkt der Antragstellung zwischen drei und fünf Jahren. In dieser Zeit versucht der Schuldner so weit wie möglich seine Schulden zurückzuzahlen. Und wenn alle Gläubiger zustimmen, wird ihm dann am Ende der Laufzeit die Restschuld erlassen. Wertvolle Tipps rund um das Verbraucherinsolvenzverfahren gibt es u.a. auf der Internetseite der Verbraucherzentrale und auf einer besonderen Themenseite des Bayrischen Rundfunks
Nachdem die Zahl der überschuldeten Haushalte in den Jahren 2021 bis 2023 zuletzt gesunken ist, dürfte sie in Zukunft wieder steigen. Hintergrund ist die seit Mitte 2021 steigende Inflation und die erheblichen Preissteigerungen bei Mieten, Energie- und Lebenshaltungskosten infolge des Ukraine-Krieges. Auf die Schuldnerberatungsstellen kommt damit noch mehr Arbeit zu, vermutet auch die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL). Sie fordert deshalb „einen finanziellen und personellen Ausbau von Schuldnerberatungsstellen.“