Segen-2-Go auf dem Weihnachtsmarkt
Sonntag, 10.12.2023
Die jüngst veröffentlichte Mitgliederbefragung von evangelischer und katholischer Kirche hat gezeigt: Die Religiosität der Bundesbürger ist im Sinkflug, ihre Kirchenbindung auch. Angesichts dieser Entwicklung sind neue spirituelle Angebote nötig.
Vorgestellt wurde die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU6) auf der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die vom 10. bis 15. November 2023 in Ulm getagt hat. Die Studie, die erstmals zusammen mit der katholischen Kirche erstellt wurde, gibt Auskunft darüber, welche Einstellungen Menschen zu Religion, Glaube und Kirche haben, welche Erfahrungen sie mit kirchlichen Angeboten gemacht und welche Erwartungen sie an die Kirche in der Zukunft haben.
In seiner Ansprache vor der EKD-Synode zur Vorstellung der Studie sagte Kirchenpräsident Dr. Dr. h.c. Volker Jung u.a., „dass mit der stetigen, teils schleichenden Abkehr von der Organisation Kirche, Erwartungen verbunden sind, dass Kirche sich verändern muss. So gehen etwa 80 Prozent der Evangelischen davon aus, dass Kirche sich grundlegend verändern muss, wenn sie eine Zukunft haben will. (…) Hoch sind die Erwartungen, dass Kirche Beratungsstellen betreibt. Für Menschen in Krisensituationen. Dass Kirche sich für Geflüchtete und die Aufnahme von Geflüchteten einsetzt. Und auch, dass Kirche sich für den Klimaschutz einsetzt. Diese Ergebnisse allein markieren Erwartungen, sind damit aber noch keine direkte Handlungsanleitung. Sie sind aber eine Grundlage, um Kirche reflektiert weiterzuentwickeln.“
Wie so eine Weiterentwicklung aussehen kann, zeigt das Modell der Popup-Church: Hier taucht Kirche bzw. tauchen ihre Pfarrer oder Pfarrerinnen spontan und unerwartet im öffentlichen Raum auf, suchen den Kontakt zu Passanten und bieten Gespräche oder sogar Amtshandlungen (Kasualien) an. Für Aufsehen sorgte z.B. eine Gruppe junger Theologen, die an einem Gründonnerstag in der Hamburger Innenstadt nach dem Vorbild Jesu fremden Menschen auf Wunsch die Füße wuschen. Eine Kölner Gemeinde bot im August 2023 einen Tag lang Popup-Hochzeiten an. Und im Segensbüro in der Berlin-Neuköllner Genezarethkirche finden Menschen, die heiraten, ihr Kind taufen möchten, eine individuelle Bestattung planen oder einen persönlichen Segenswunsch haben, Beratung und Begleitung.
Das Konzept der Popup-Church wollen jetzt auch vier Pfarrerinnen aus dem Evangelischen Kirchenkreis Vlotho ausprobieren: Theodora Beer, Linda Stucke-Troks, Hannah Steiner und Gesina Prothmann wollen als Kirche dorthin gehen, wo die Menschen sind: Nach draußen ins Leben. Als ersten Ort dafür haben sie sich den Weihnachtsmarkt in Bad Oeynhausen ausgesucht, sagt Pfarrerin Gesina Prothmann. Wer möchte, kann sich von ihr oder einer Kollegin dort segnen lassen – ein Segen2Go zwischen Glühweinstand und Weihnachtsdeko.
Neben dem Segen bieten die vier jungen Pfarrerinnen auf dem Weihnachtsmarkt auch ein Lagerfeuer, Getränke und gemütliche Plätze zum Entspannen an. Mitten im Weihnachtstrubel wollen sie dabei klar als Kirche erkennbar sein, sagt Gesina Prothmann: „Wir stehen in der Fußgängerzone oder auf dem Weihnachtsmarkt in unserem Talar, also in unsere Amtstracht - da bleiben halt dann auch keine Fragen offen.“ Die Popup-Church auf dem Weihnachtsmarkt soll nur der Auftakt sein. Weitere „Auftritte“ sind das ganze nächste Jahr über und an unterschiedlichen Orten im Evangelischen Kirchenkreis Vlotho geplant. So soll es im Frühjahr in Bad Oeynhausen, Vlotho, Löhne und Porta Westfalica zum Beispiel auch Segnungen am Muttertag geben.