Suizidanrufe bei der Telefonseelsorge

von Magnus Osterkamp

Sonntag, 24.07.2016

Ein Plakat der Telefonseelsorge lädt ein: Sorgen kann man teilen!
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Statistisch betrachtet melden sich bei der Telefonseelsorge jeden Tag über 150 Menschen mit Selbstmordgedanken. Über 57.000 solcher Gespräche gab es laut einer Studie im Jahr 2014. (Foto: www.telefonseelsorge.de)

Vom 19. bis 22. Juli 2016 tagte in Aachen der Weltkongress der Telefonseelsorge. Thematisch stand der Umgang mit suizidalen Situationen im Mittelpunkt – doch es wurde auch gefeiert: das 60jährige Bestehen der Telefonseelsorge in Deutschland.

Nach zwei ersten Anläufen in New York (Baptistenpfarrer Harry Warren, 1896) und London (Baptistenpfarrer West, 1953) war es der Anglikanerpater Chad Varah, der 1953 und ebenfalls in London den Grundstein für die heutige Telefonseelsorge legte. Er veröffentlichte eine Telefonnummer, unter der man ihn bei Selbstmordabsichten anrufen sollte. Er hatte als erster die Gelegenheit, die Arbeit kontinuierlich fortzuführen, gründete später die nationale Organisation "The Samaritans" und schließlich auch einen ersten internationalen Verband.

1956 entstand die erste Telefonseelsorge in Deutschland: Der Berliner Arzt und Pfarrer Klaus Thomas veröffentlichte am 5. Oktober 1956 eine private Telefonnummer für die "Ärztliche Lebensmüdenbetreuung"; das Wort Telefonseelsorge war noch nicht geboren. Heute ist die Telefonseelsorge bundesweit in 105 Städten vertreten. Die rund 200 hauptamtlich und 8.000 ehrenamtlich Mitarbeitenden sind ansprechbar für Krisensituationen jeglicher Art - sei es Trauer, Einsamkeit, Gewalterfahrung, Sucht oder Partnerschaftskonflikte. Mehr Infos und die Möglichkeit von Seelsorge per Internet und e-mail bietet http://www.telefonseelsorge.de/  Hier finden Sie auch eine Adressenliste aller Stellen, falls Sie sich für eine Mitarbeit bei der Telefonseelsorge interessieren.

Die Telefonseelsorge – getragen von evangelischer und katholischer Kirche – ist rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr kostenlos erreichbar unter den Nummern 0800-1110111  oder  0800-1110222. Anrufen kann jeder, der ein Problem hat – Religionszugehörigkeit spielt keine Rolle. Auf Wunsch kann das Gespräch völlig anonym laufen, es ist und bleibt in jedem Fall vertraulich und gebührenfrei. Auch auf der Telefonrechnung taucht ein Anruf bei der Telefonseelsorge nicht auf. Im Jahr 2014 haben die meist ehrenamtlichen Mitarbeitenden der Telefonseelsorge bundesweit über 1,8 Millionen Anrufe entgegengenommen.

Laut einer Studie der Katholischen Hochschule NRW, die 2015 in Münster vorgestellt wurde, verzeichnete die Telefonseelsorge 2014 über 57.000 Gespräche, in denen es um das Thema Selbstmord ging. Allein in Deutschland gibt es jedes Jahr über 10.000 Fälle von Suizid. Die Zahl der Selbstmordversuche ist Schätzungen zufolge zehn Mal so hoch. Auffallend, aber nach Angaben von sciencefiles.org wissenschaftlich noch nicht geklärt, ist die Tatsache, dass 75% aller Selbsttötungen von Männern begangen werden.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat errechnet, "dass von jedem Selbstmord oder Selbstmordversuch noch insgesamt sechs weitere Menschen wie Angehörige oder Freunde betroffen sind." Weiter heißt es: "Die Ursachen, warum Menschen den Freitod wählen, sind vielfältig und komplex. Gefühle der Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit und Perspektivlosigkeit, Traumatisierungen, Konflikte in Beziehungen, psychische oder physische Erkrankungen, Depressionen, gesellschaftlicher Druck oder Kurzschlussreaktionen - das sind Gründe, die zu einem Selbstmord führen können."

Viele der genannten Empfindungen geben zugleich die Motive wieder, warum sich Menschen Rat und Hilfe suchend an die Telefonseelsorge wenden, ohne dabei gleich Selbsttötungsabsichten zu haben. Dennoch sind Selbstmord-Anrufe nicht so selten, wie es die Statistik vermuten lassen könnte, heißt es dazu in einem Handbuch der Telefonseelsorge zur Suizidprävention von 2009: "Selten sind Menschen klar und präzise in der Angabe von Suizidabsichten. Wenn sie es sind, dann ist der Gedanke meist kein Gedanke mehr, sondern ein handfester, wohlüberlegter Plan, zu dessen Umsetzung die Mittel schon bereitliegen. In der «Reifungsphase» dieses Plans sind Worte umschreibend, metaphernhaft, leicht zu überhören oder falsch zu deuten. Und eben in dieser Kunst sind die Mitarbeitenden der TelefonSeelsorge zu schulen: Das Ungesagte oder die Metapher zu hören und offen zu bleiben für die Berührung mit Verzweiflung und Todeswünschen."

Zum internationalen Weltkongress der Telefonseelsorge vom 19. bis 22. Juli 2016 waren 1.600 Ehrenamtliche aus 33 Ländern in Aachen zu Gast. Vier Tage lang befassten sie sich unter dem Leitwort "for life to go on" (Damit das Leben weitergeht) in Vorträgen und Workshops mit Möglichkeiten zur Hilfe und Unterstützung von Menschen in suizidalen Krisen. Krönender Abschluss war am 23. Juli ein Festgottesdienst im Aachener Dom, dem ein Festakt im Aachener Rathaus folgte. Anlass der Feiern war das 60jährige Jubiläum der Telefonseelsorge in Deutschland.

Sonntag, 24.07.2016