Tafelläden in Not: Weniger Spenden, mehr Bedürftige
Sonntag, 12.06.2022
1993 wurde in Berlin die erste „Tafel“ gegründet. Heute gibt es davon bundesweit 960 mit insgesamt 2.000 Ausgabestellen. Sie sammeln Lebensmittelspenden ein und verteilen sie an fast 1,7 Mio. Bedürftige. Damit kommen die Tafeln an ihr Limit.
Rentner, Alleinerziehende, Arbeitslose, Geringverdiener, Migranten und Flüchtlinge – die Kundschaft der "Tafeln" in Deutschland ist bunt gemischt, sie ist arm, und sie wird immer größer: Gegenüber 2005 hat sich ihre Zahl mehr als verdreifacht, auf knapp 1,7 Millionen. Ein Drittel davon sind Kinder und Jugendliche. Die Betroffenen leben in Familien, in denen das Geld chronisch knapp ist und die deshalb trotz staatlicher Unterstützung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Zum Beispiel, wenn es um die Versorgung mit Nahrungsmitteln geht. Hier springen die sogenannten "Tafeln" ein, die Lebensmittelspenden von Supermärkten einsammeln und sie kostenlos oder gegen eine geringe Gebühr an Bedürftige verteilen.
Auf diese Weise entlasten die Tafeln die engen Haushaltsbudgets der Betroffenen und schaffen Luft für andere Aktivitäten oder Anschaffungen. Der Bundesverband der Tafeln schreibt dazu auf seiner Internetseite: „Als Orte der Begegnung schaffen die Tafeln zudem einen Rahmen für soziale Teilhabe, an der es armen Menschen oft ebenso mangelt wie an gesunder Nahrung.“ Die Tafeln finanzieren sich ausschließlich aus Spendenmitteln. Unterstützt werden sie u.a. von lokalen Einzelhändlern, Supermärkten, aber auch von Kfz-Betrieben, Druckereien und Banken.
40 Prozent der 962 Tafeln sind als eingetragene Vereine organisiert, alle anderen sind Projekte in Trägerschaft verschiedener gemeinnütziger Organisationen wie Diakonie, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt usw. Bundesweit sind im Auftrag der Tafeln 2.350 Fahrzeuge unterwegs, um täglich Lebensmittelspenden einzusammeln und sie zu den Lager- bzw. Ausgabestellen zu bringen. Insgesamt engagieren sich rund 60.000 Freiwillige für die Tafeln: Sie helfen beim Einsammeln, Transportieren, Sortieren und Ausgeben der gespendeten Lebensmittel.
In den vergangenen Monaten ist die Menge an gespendeten Lebensmitteln spürbar zurückgegangen. Die Supermärkte, Metzgereien, Bäckereien und Handelsketten kalkulieren schärfer und haben am Ende des Tages weniger abzugeben. Gleichzeitig verzeichnen die Tafeln einen deutlichen Anstieg ihrer Kundschaft. Weil die hohe Inflationsrate und der Krieg in der Ukraine neben Strom-, Benzin- und Heizkosten auch die Preise für Lebensmittel explodieren lassen, kommen immer mehr Menschen an ihr finanzielles Limit. Hinzu kommen die über 600.000 nach Deutschland geflohenen Ukraine-Flüchtlinge, von denen viele ebenfalls auf Hilfe durch die Tafeln angewiesen sind.
Für den Bundesverband Deutsche Tafel sind die Zahlen ein Beleg für den kontinuierlichen Anstieg der Armut in Deutschland und zugleich für das staatliche Versagen in der Steuer- und Sozialpolitik. Die Bundesregierung müsse mehr tun, "um allen Menschen eine wirkliche Chance auf Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben zu eröffnen.“ Insbesondere für Kinder fordert der Bundesverband vermehrte Anstrengungen. Das Mindeste sei eine sofortige Anhebung des Hartz-IV-Satze auf 600 Euro.