Unter die Erde kommen sie alle – nur wie?
Sonntag, 26.11.2023
Eine Trauerfeier mit Pfarrer und Orgelmusik, die Aussegnung des Verstorbenen und schließlich die Beisetzung im Sarg – das alles ist heute längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Bestattungskultur verändert sich und bringt viele neue Formen hervor.
So werden zum Beispiel immer mehr Menschen anonym bestattet. Das gilt nicht nur für Verstorbene ohne Angehörige und Vermögen, deren Beisetzung von den Kommunen organisiert wird. Auch in anderen Bevölkerungskreisen ist ein Trend zur Beisetzung ohne Grabstelle und Grabstein zu beobachten. Hierfür lassen sich im Wesentlichen zwei Gründe festhalten: Entweder sind es die Hinterbliebenen, die sich unter Zeitdruck und aus Kostengründen für die vermeintlich billige anonyme Beisetzung entscheiden, oder aber der Verstorbene selbst hat sich zu Lebzeiten diese Bestattungsform gewünscht, um seinen Angehörigen die spätere Grabpflege zu ersparen.
Unabhängig davon, wie die Entscheidung zustande gekommen ist, kann sie später zu ungeahnten Schwierigkeiten führen. Fachleute sind sich seit langem einig, dass den Hinterbliebenen bei einer anonymen Bestattung die Möglichkeit genommen wird, den Verstorbenen zu besuchen und dass damit ein wichtiger Ort für die Trauerbewältigung verloren geht. Ein persönliches, identifizierbares Grab dient also vor allem den Hinterbliebenen, nicht dem Verstorbenen.
Experten raten deshalb, Bestattungswünsche rechtzeitig, und vor allem im Einvernehmen mit den Angehörigen festzulegen. Wo dies geschieht und man sich über mögliche "Spätfolgen" im Klaren ist, ist gegen eine anonyme Beisetzung prinzipiell nichts einzuwenden. Andererseits gibt es z.B. auch unter Kostengesichtspunkten andere Alternativen, die nicht wesentlich teurer sind. Vom pflegefreien Kolumbarium über Urnenstelen, Rasengräber und Urnengemeinschaftsanlagen bis zu Baum- und Naturbestattungen bieten sich viele Möglichkeiten, die eine Anonymität vermeiden - oft sogar auf dem heimischen Friedhof. Was möglich bzw, erlaubt ist, regelt in NRW das "Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen" (Bestattungsgesetz – BestG-NRW).
Auch in anderen Bundesländern wurden die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen in den vergangenen Jahren immer wieder geändert und teilweise deutlich liberalisiert. Die Gesetzgeber tragen damit gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung, die von Traditionsabbruch und Individualisierung geprägt sind. Beides hat auch Folgen für die Kirchen. Schließlich betreiben sie rund ein Drittel der bundesweit etwa 32.000 Friedhöfe: 7.900 befinden sich in evangelischer Trägerschaft, weitere 3.600 sind katholische Friedhöfe.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) schreibt zu dem Thema auf ihrer Internetseite: "Die Liberalisierung des Bestattungswesens führt zu erheblichen Veränderungen bis hin zu völlig neuen Angebotsformen wie z.B. den sog. Friedwäldern. Die Erwartungen an eine Beerdigung und an die (Mit-)Gestaltungsformen wandeln sich, sie sollen individueller, persönlicher und selbstbestimmter werden. Hinzu kommt, dass es »das« Verständnis vom Tode in einer pluralen Welt nicht mehr gibt, sondern eine Fülle von verschiedenen Abschieds- und Jenseitsvorstellungen, die z.T. noch christlich geprägt, z.T. aber auch gänzlich unabhängig davon sind. Die Individualisierung der Trauerkulturen und ihr Geschwisterkind, die Pluralisierung der Gestaltungsformen, sind für die Kirche keine rein defizitären Entwicklungen, sondern enorme Herausforderungen, die die Sehnsucht nach persönlichen Abschiedsformen spiegeln."
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat im Dezember 2021 eine gut 40seitige Broschüre mit dem Titel „Friedhöfe im Wandel der Zeit“ veröffentlicht. Sie kann als PDF-Datei hier heruntergeladen werden. Hier werden die Problemfelder klar benannt: „Das Bestattungswesen und damit auch die Friedhöfe sind eng mit der demografischen Entwicklung verbunden. Ein Bevölkerungsrückgang, auch lokal, führt zu rückläufigen Bestattungszahlen. Darüber hinaus haben die unterschiedlichen Lebensentwürfe und Bedürfnisse der Menschen Auswirkungen auf das Trauer- und Bestattungsverhalten, was sich auch auf das Friedhofswesen auswirkt, etwa durch einen Rückgang an der Nachfrage nach klassischen Erdgräbern. (…) Daneben stehen die kommunalen Friedhöfe auch im Wettbewerb mit Dritten, die umfänglichere und bisweilen auch kostengünstigere Angebote für Grabstätten machen können. Durch die preiswerteren Urnenbestattungen nehmen die Friedhöfe grundsätzlich weniger ein, was dazu führt, dass die Gebühren erhöht werden müssten, da die Pflege der Anlage für die Attraktivität entscheidend ist. Dies sorgt allerdings mitunter für Leerstand und so entwickelt sich ein Szenario, bei dem die Nachfrage nach Grabflächen auf den kommunalen Friedhöfen rückläufig ist.“
Trotz vielfältiger Veränderungen, denen sich auch die Kirchen stellen und auf die sie reagieren müssen, bleibt die theologische Sicht auf das Thema davon weitgehend unberührt. In einem Diskussionspapier der EKD zum Thema "Bestattungskultur" heißt es u.a.: "Auch die allergrößte Beziehungslosigkeit der Menschen zu Gott in der Welt macht nach christlichem Verständnis Gott nicht beziehungslos zu dem Menschen. Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes, ins Leben gerufen durch seinen Lebensodem, erwählt zu einem einzigartigen Weg und durch die Taufe gewürdigt und berufen, dies auch zu glauben und zu leben im Dienst an Gott und den Menschen. Der Mensch kann daher zwar Gott und auch sich selbst vergessen, er kann auch in unserer Welt vergessen und verscharrt werden, bei Gott aber bleibt er ein einzigartiger, unverlierbarer und unvergessener Mensch mit seiner je besonderen Lebensgeschichte ("Ich habe dich bei deinem Namen gerufen": Jesaja, Kap. 43, 1). Dies gilt nicht nur für die vielen anonym gestorbenen Seeleute der Jahrhunderte, nicht nur für die vielen verschollenen Toten der Kriege, sondern das gilt auch für alle Menschen heute, die in beziehungsloser Einsamkeit leben müssen und deren Leichnam entsprechend beziehungslos »entsorgt« wird."