Vor 75 Jahren wurde das KZ Auschwitz befreit
Sonntag, 26.01.2020
Kurz nach Mittag am 27. Januar 1945 erreichten Einheiten der 1.Ukrainischen Front auf ihrem Vormarsch nach Westen das Gelände des Konzentrationslagers Auschwitz. Dort bot sich den Soldaten ein Bild des Grauens.
Die Leichen von etwa 650 der zuletzt umgekommenen Lagerinsassen lagen unbestattet auf dem gefrorenen Boden, gut 7.000 Menschen, die meisten bis zum Skelett abgemagert und dem Hungertod nahe, wurden lebend geborgen. Die Versuche der Nationalsozialisten, die Spuren ihres barbarischen Treibens zu vernichten, waren nur unzureichend durchgeführt worden.
Zwischen 1940 und 1945 wurden allein im Konzentrationslager Auschwitz bzw. Auschwitz-Birkenau 1,1 Millionen Menschen ermordet. Andere Quellen sprechen sogar von 1,5 Millionen Getöteten. Der Name Auschwitz steht seitdem als Synonym für den organisierten Massenmord der Nazis, dem insgesamt rund sechs Millionen Menschen - vor allem Juden, aber auch Sinti und Roma, Homosexuelle und politisch Verfolgte - zum Opfer fielen. An sie erinnert jedes Jahr der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar – der Tag, an dem das Konzentrationslager Auschwitz 1945 von Soldaten der sowjetischen Roten Armee befreit wurde.
Fassungslos standen die sowjetischen Soldaten an diesem Tag vor den Überresten der gesprengten Gaskammern, Krematorien und den langen Massengräbern, in denen nur ein Teil der Opfer lagen, die hier auf bestialische Weise umgebracht worden waren. Viele Leichen waren in den Krematorien verbrannt, ihre Asche fortgeschüttet worden.
Schon im November 1944 hatte der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, die Räumung des Lagers angeordnet. Am 18. und 19. Januar 1945 waren schließlich 98.000 der letzten Häftlinge in langen Kolonnen von bis zu 2.500 Personen bei sogenannten "Todesmärschen" aus dem Lager fortgeschafft worden. Am 25. Januar wurden zum letzten Mal Juden in Auschwitz erschossen; insgesamt 350 Männer und Frauen die zu schwach für den Marsch waren. Anschließend verließen die letzten SS-Trupps das Lager, nachdem sie zuvor die fünfte und letzte Gaskammer des KZs gesprengt hatten. Zurück ließen sie über 8.000 Häftlinge, von denen über 600 noch vor der Ankunft der Sowjets zwei Tage später an Entkräftung, Kälte oder Unterernährung starben.
Seit 1996 ist der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Lagers Auschwitz, in der Bundesrepublik Deutschland offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Auf der Internetseite des Südwestrundfunks (SWR) kann man einen fast vierminütigen Augenzeugenbericht der deutschen Jüdin Anita Lasker anhören. Sie berichtet dort von den Verbrechen in Auschwitz und von ihrer Befreiung aus dem KZ Bergen-Belsen durch die Briten am 15. April 1945. Nur einen Tag später erzählte sie damals im deutschen Programm der BBC von ihren Erlebnissen.
Eine andere, heute noch lebende Zeitzeugin ist Esther Bejarano. Sie war gerade mal 18 Jahre alt, als sie von den Nazis in einem Viehwaggon nach Auschwitz deportiert wurde. Sie überlebte das Lager, weil sie singen und Musik machen konnte. Das Mädchenorchester in Auschwitz war ihre Rettung. Die Musikerinnen blieben von der Vernichtung verschont, mussten aber immer wieder "Privatkonzerte" für SS-Angehörige des Lagers spielen, und sie begleiteten täglich den Aus- und Einmarsch der Arbeitskolonnen im KZ Auschwitz-Birkenau.
Bei einem der "Todesmärsche" von KZ-Häftlingen kurz vor Kriegsende kann Ester Bejarano fliehen. Die Befreiung durch die vorrückende Rote Armee erlebt sie in Lübz, einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern. Im September 1945 wandert sie nach Palästina aus, kehrt aber 1960 wieder nach Deutschland zurück. Wie viele andere, die den Holocaust überlebt haben, kann sie jahrelang nicht über das Erlebte sprechen. Doch als in den 1970er Jahren direkt vor ihrem kleinen Geschäft ein Stand der NPD aufgebaut wird, wendet sich das Blatt.
Bejarano bricht ihr Schweigen und kämpft seitdem unermüdlich gegen das Vergessen und Verdrängen des Holocaust. Dieses Menschheitsverbrechen dürfe sich nie wiederholen, sagt die heute 95jährige: "Deswegen habe ich mir vorgenommen, dass ich die Menschen aufkläre, zumindest die Jugend. Das ist ganz, ganz wichtig." Ihren Zuhörern schärft sie dabei immer wieder ein: "Ihr seid nicht schuld an dem, was damals geschah. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr über diese schrecklichen Verbrechen nichts wissen wollt."
Und so reist Esther Bejarano trotz ihres hohen Alters immer noch durch Deutschland, um in Schulen und bei Kulturveranstaltungen von ihrem Leben zu erzählen und zu mahnen: "Das ist anscheinend meine Bestimmung. (…) Ich hab mal geäußert, ich werde solange Musik machen und solange singen, und auf der Bühne stehen, bis es keine Nazis mehr gibt. (…) Denn das, was wir erlebt haben, in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern und in den Ghettos und so weiter - diese Nicht-Achtung von Menschen, das darf nie wieder passieren."