Warum Antisemitismus uns alle angeht
Sonntag, 19.04.2020
In Kürze feiern wir 75 Jahre Kriegsende und damit zugleich auch 75 Jahre Befreiung von der Nazi-Herrschaft. Am 8. Mai 1945 ist das sogenannte „Dritte Reich“ untergegangen – aber der Judenhass von damals hat leider bis heute überlebt.
Spätestens seit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 ist die Angst bei vielen Juden wieder zurück. Auch für Barbara Traub ist seitdem vieles anders, erzählt sie im Interview: „Wenn ich aus der Haustür gehe, ertappe ich mich selber manchmal, dass ich mich umschaue und überlege: Werd ich beobachtet oder nicht?“ Nachdem es öffentliche Mord-Drohungen gab, musste Traub als Mitglied der jüdischen Gemeindeleitung den Männern sogar raten, „dass sie sich überlegen sollen, ob sie eine Kippa aufsetzen und sich damit als Juden erkennbar machen.“
Die Gefahr für Juden in Deutschland ist real. Wie der Evangelische Pressdienst am 8.4.2020 berichtete, hat die Polizei nach Angaben der Bundesregierung laut vorläufiger Zählung im vergangenen Jahr bundesweit 2.032 Delikte registriert, die sich gegen Menschen jüdischen Glaubens oder ihre Einrichtungen richteten. 2018 waren es nach endgültigen Polizeistatistiken 1.799 Fälle. Michael Blume ist Antisemitismus-Beauftragter des Landes Baden-Württemberg. Er glaubt: „Durch das Internet ist der Antisemitismus, den es immer gab, nochmal leichter zu verbreiten und radikaler geworden, weil sich die Leute in Kleingruppen gegenseitig hochpeitschen.“
Blume sieht im aktuellen Antisemitimus eine Kombination aus Fremdenfeindlichkeit und wilden Verschwörungstheorien. Im Mittelalter seien Juden als Brunnenvergifter und Kindermörder verunglimpft worden. Ähnliches passiere heute wieder, sagt Blume: „Es hat nicht einmal drei Tage gedauert bis im Internet die ersten Videos auftauchten, wo es hieß: Die Juden stecken angeblich hinter dem Corona-Virus.“ Seiner Meinung nach ist der Kampf gegen den Antisemitismus ein Kampf gegen Vorurteile, Hass und Diskriminierung, der uns alle betrifft: „Wenn wir es zulassen, dass Menschen beispielsweise keine Kippa mehr tragen können, dann wird es als nächstes auch nicht mehr möglich sein ein Kopftuch zu tragen oder ein Kreuz zu tragen oder mit dunkler Hautfarbe unterwegs zu sein. Dann verlieren wir alle unsere Freiheit.“