Wenn der Glaube unter die Haut geht
Sonntag, 31.03.2024
Zu bestimmten Zeiten waren Tätowierungen nur etwas für Seefahrer oder Knastbrüder. Heute tragen laut „Süddeutscher Zeitung“ gut 20% aller Bundesbürger ein oder mehrere Tattoos. Die Bildmotive sind sehr vielfältig, auch christliche Tattoos sind gefragt.
Die wohl ältesten, heute noch nachweisbaren Tätowierungen wurden auf der Haut von „Ötzi“ gefunden – der 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckten Eismumie. Der etwa 5.300 Jahre alte Leichnam weise insgesamt 61 einfache Tätowierungen mit geometrischen Formen auf, heißt es auf der Website https://www.mytattoo.com: „Jede dieser Vernarbungen befanden sich in Bereichen der klassischen Akupunktur, was Wissenschaftler vermuten lässt, das Tattoos nicht wie heute allein dem Schönheitszweck dienten, sondern auch einen medizinischen Ursprung hatten.“
Tätowierungen waren in Europa schon in der Antike bekannt. Oft wurden sie benutzt, um eine gesellschaftliche Stellung sichtbar zu machen. In Griechenland wurden zum Beispiel Sklaven entsprechend gekennzeichnet. Im Mittelalter genossen Tattoos kein großes Ansehen, teilweise wurden sie von der Kirche sogar als „gotteslästerlich“ verboten. Trotzdem ließen sich damals auch schon Christen tätowieren. Siegreiche Kreuzzügler ließen sich ihren Triumph ebenso in die Haut stechen wie reisende Händler, die auf diese Weise im Falle ihres Todes unterwegs ihre christliche Bestattung sicherstellen wollten. Auch Pilger ließen sich am Ziel ihrer Wallfahrten Tattoos stechen, um zu zeigen: „Ich war da.“
Einen ersten Hype erlebten die „Haut-Bilder“ im 18. Jahrhundert, als der britische Seefahrer und Entdecker James Cook 1769 von einer seiner Reisen einen tahitianischen Prinzen mit nach England brachte, der stark tätowiert war. In dessen Heimatsprache wurde diese Art von Körperschmuck „tattau“ genannt. Durch die englische Aussprache wurde daraus „Tattoo“. Einige Adelige fanden Gefallen daran, aber es waren vor allem Seefahrer, die für eine weitere Verbreitung sorgten. Auf ihren Fahrten rund um die Welt kamen sie mit vielen Kulturen in Kontakt, erlernten bei ihnen das Tattoo-Handwerk und ließen sich ihre Erlebnisse auf ihrer Haut verewigen.
Neben den Seeleuten waren es dann im weiteren Verlauf Kriminelle, Prostituierte und andere niedrige Gesellschaftsschichten, die sich tätowieren ließen. In anderen Kreisen war dieser Körperschmuck dagegen verpönt – schon allein, um sich von den anderen abzugrenzen. Spätestens mit dem Aufkommen der sogenannten „Arschgeweihe“ – Tätowierungen zwischen Po und unterem Rücken – erlebten die Tattoos in den 1990er Jahren eine Renaissance. Laut einem Bericht der „Apotheken-Umschau“ vom September 2019 stieg die Zahl der Tattoo-Studios allein in Deutschland innerhalb der vergangenen 30 Jahre von einem guten Dutzend auf rund 8.000. Fußballspieler oder auch Schauspieler ohne Tätowierung sind heute eher die Ausnahme als die Regel.
Dabei sind Tattoos durchaus eine Frage des Alters, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ unter Bezugnahme auf eine Umfrage des Ipsos-Instituts aus dem Jahr 2019: „Besonders verbreitet sind Tattoos unter den 20- bis 29-Jährigen. Fast jeder Zweite (47,1 Prozent) von ihnen hat mindestens eines, wie aus der Umfrage hervorgeht. Bei den 30- bis 39-Jährigen hat jeder Dritte (33,9 Prozent) ein oder mehrere Tattoos. Bei den 40- bis 49-Jährigen sind es 28,1 Prozent und bei den 50- bis 59-Jährigen 17,1 Prozent.
Der Theologe und Schriftsteller Paul-Henri Campbell hat 2019 ein Buch über christliche Motive in der Körperkunst geschrieben. Über das Werk heißt es bei Amazon.de: „In »Tattoo und Religion Die bunten Kathedralen des Selbst« geht Paul-Henri Campbell diesem jahrhundertealten Phänomen, das sich in allen Regionen der Welt findet, auf den Grund. In Gesprächen mit Tätowierern, Tätowierten und Kunsthistorikern präsentiert er ein beeindruckendes Panorama dieser besonderen Kunstform, für das sich sogar diejenigen interessieren dürften, die sich bisher weder mit Tätowierungen, noch mit christlicher Symbolik beschäftigt haben. Es geht um das Verhältnis zum eigenen Körper, zur Welt, zu Gott und nicht zuletzt um Kunst. Nach der Lektüre dieses Buches wird man die immer größer werdende Zahl tätowierter Körper mit anderen Augen sehen.“
Ein Interview mit Paul-Henri Campbell aus der evangelischen Zeitschrift „CHRISMON“ kann man hier nachlesen.