Wie aus "Hungermärschen" der Faire Handel wurde
Sonntag, 20.09.2020
Kirchliche Jugendverbände protestierten 1970 gegen ein Handelssystem, das die Länder der „Dritten Welt“ nur als Rohstofflieferanten sah, ihnen die Preise diktierte und sie ausbeutete. Aus dieser „Graswurzel-Bewegung“ entstand in Laufe der Zeit Großes.
Von diesen Anfängen berichtet zum Beispiel Berthold Burkhardt, damals Jugendreferent im Dekanat Pforzheim, auf der Internetseite des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt: „1970 zogen wir in Hungermärschen durch die Städte und über die Dörfer. Vorher haben wir Sponsoren gesucht, die für jeden Kilometer einen bestimmten Betrag spendeten. Wenn man dann 20 Kilometer gelaufen war, hatte man eine hübsche Summe zusammen, die an bestimmte Hilfsprojekte gespendet wurde. Wir sammelten dabei aber nicht nur Geld, sondern wollten auch darauf aufmerksam machen, dass noch immer ein nachkoloniales Ausbeutungssystem existierte. (...) Das haben wir angeprangert.“
Diese „Hungermärsche“ waren sozusagen die Geburtshelfer des Fairen Handels. Ab September 1970 verkauften Kirchengemeinden und Aktionsgruppen fair gehandeltes Kunsthandwerk aus Asien, Afrika und Lateinamerika an. Kurze Zeit später gab es dann auch fair gehandelten Kaffee zu kaufen - das bis heute erfolgreichste Produkt. Das Sortiment wurde stetig erweitert: Schokolade, Spielzeug, Trockenfrüchte, Tee, Geschenkartikel und sogar Fußbälle. Heute – 50 Jahre später – sind fair gehandelte Waren nicht mehr nur in Weltläden erhältlich, sondern auch in fast jedem Supermarkt.
Nach Angaben des Statistik-Portals "Statista" verzeichnet der Handel mit Fairtrade-Produkten in Deutschland schon seit zwei Jahrzehnten einen regelrechten Boom mit zum Teil zweistelligen Zuwachsraten. So ist der Umsatz mit Fair-Trade-Produkten allein in Deutschland zwischen 1993 und 2018 von 29 Millionen Euro auf 1,6 Milliarden Euro gestiegen. Aktuell liegt er nach Angaben von Brot für die Welt bei 1,85 Milliarden Euro pro Jahr.
Von dem Trend profitiert auch das von den Kirchen vor gut 40 Jahren mitbegründete Fair-Handelsunternehmen GEPA mit Sitz in Wuppertal. Eigenen Angaben zufolge ist die GEPA ("Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt") europaweit das größte Unternehmen, das direkt mit Kleinproduzenten zusammenarbeitet und dabei großen Wert auf die Einhaltung internationaler Standards des fairen Handels legt. Hierzu zählt u.a. die Überprüfung der Lieferkette.
Der faire Handel zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass mit den Bauern und Handwerksbetrieben in Entwicklungsländern langfristige Lieferverträge abgeschlossen werden (z.B. für Kaffee- und Kakaobohnen, aber auch für Blumen, Reis, Weine, handgenähte Fußbälle u.v.m.), so dass der Erlös für die Produzenten nicht den kurzfristigen Schwankungen der Weltmarktpreise unterliegt. Auch ist die Bezahlung generell höher, es wird auf umweltschonende Produktionsmethoden geachtet und die Produzenten werden strukturell unterstützt – z.B. bei der Anschaffung von Maschinen. So werden aus billigen Zulieferern gleichberechtigte Handelspartner, die sich Dank fairer Preise eine dauerhafte Existenzgrundlage aufbauen können. Zu erkennen sind fair gehandelte Produkte, die es mittlerweile auch in Supermärkten zu kaufen gibt, u.a. an dem TransFair-Siegel (www.transfair.org).
Anlässlich des 50. Geburtstags des Fairen Handels hat die Präsidentin von Brot für die Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel, an die Politik appelliert, die Bedingungen des Fairen Handels zum Standard für den globalen Handelsverkehr zu machen: „Wenn wir Hunger, Armut und Ungerechtigkeit überwinden wollen, muss der globale Handel insgesamt gerechter und fair werden. Unser Konsum darf nicht weiterhin auf dem Rücken der Menschen am Anfang globaler Wertschöpfungsketten erwirtschaftet werden. Dazu brauchen wir Handelsverträge, die Menschenrechte und Umweltstandards berücksichtigen und ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen bei fahrlässiger Nichteinhaltung ihrer Sorgfaltspflichten in die Verantwortung nimmt. Der Faire Handel zeigt, dass dies möglich ist.“