Wie Luthers Lehren nach Venedig kamen
Sonntag, 20.08.2017
Venedig hat nicht nur viele Sehenswürdigkeiten wie den Dom, den Dogenpalast oder die Rialtobrücke zu bieten. Hier gibt es auch die älteste evangelisch-lutherische Gemeinde Italiens. Ihre Geschichte liest sich so spannend wie ein historischer Roman.
Nachdem Martin Luther 1517 mit seinen 95 Thesen die römisch-katholische Kirche der damaligen Zeit scharf kritisiert und damit die Reformation ausgelöst hatte, fanden seine Ideen schnell auch den Weg in andere Länder – etwa nach Italien. Schon 1520 tauchten erste Schriften Luthers in Venedig auf. Außerdem brachten auch deutsche Kaufleute den neuen Glauben in die Lagunenstadt, die damals zu den wichtigsten Handelszentren Europas gehörte.
Im "Fondaco dei Tedeschi" – dem "Deutschen Haus" in Venedig - war seit 1228 die Niederlassung der reichsdeutschen Händler untergebracht - am Canal Grande direkt neben der Rialtobrücke. 1505 wurde das Gebäude durch einen Brand zerstört und anschließend neu aufgebaut. Hier feierten die evangelischen Kaufleute aus Deutschland ihre Gottesdienste – heimlich und in aller Stille. "Es durfte nicht laut gesprochen werden, es durfte nicht gesungen werden", erzählt Fremdenführerin Eva Dünow von der evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Venedig. Selbst der Pfarrer durfte damals nicht öffentlich in Erscheinung treten. Er musste zivile Kleidung tragen und sich als Arzt oder Handelsvertreter tarnen.
Rund 130 Jahre lang war die kleine lutherische Gemeinde von Venedig praktisch eine "Untergrund-Kirche", die ständig in der Furcht lebte, von der katholischen Kirche entdeckt und verfolgt zu werden. Aus den ersten Jahrzehnten nach ihrer Gründung sind deshalb keine Schriftstücke überliefert, die von der Gemeinde selbst stammen – wohl aber Papiere, in denen über sie berichtet wird. In einem davon spricht der Päpstliche Nuntius über "Konventikel" – also private religiöse Zusammenkünfte im "Deutschen Haus" - und fordert die venezianischen Stadtväter auf, diese Praxis zu unterbinden.
Es war nicht das einzige Mal, das die katholische Kirche versuchte, die lutherische Gemeinde in Venedig zu verbieten. Aber die hatte die Stadtväter auf ihrer Seite, sagt Fremdenführerin Eva Dünow: "Als die Inquisition hier auch ein Tribunal hatte, hat der venezianische Staat immer darauf hingewirkt, dass die Verurteilungen abgemildert wurden. Denn der venezianische Staat hat die deutsche Kaufmannschaft beschützt, weil sie ein wirtschaftlich großer Faktor waren."
Erst der von Napoleon Bonaparte eingeführte "Code Civil" brachte Anfang des 19. Jahrhunderts spürbare Erleichterungen für die lutherische Gemeinde in Venedig. Ganz frei und ganz öffentlich, so Eva Dünow, war das Gemeindeleben der evangelischen Christen in der Lagunenstadt aber erst ab 1866 – mit der Errichtung des italienischen Staates.