Willkommenskultur in der Kirche: Luft nach oben
Sonntag, 03.09.2023
In den Kirchen ist der Begriff „Willkommenskultur“ eng verknüpft mit den Geflüchteten, die 2015 zu Hundertausenden nach Deutschland kamen. Sie aufzunehmen und zu versorgen war Christenpflicht und zugleich ein Zeichen gegen damalige rassistische Hetze.
Heute - im normalen Gemeindealltag und den eigenen Mitgliedern gegenüber - ist die kirchliche Willkommenskultur dagegen noch ausbaufähig. Mit am deutlichsten sichtbar wird sie im sogenannten Besuchsdienst, der in viele Gemeinden von Ehrenamtlichen organisiert wird. Sie besuchen nicht nur die Senioren*innen und gratulieren zu runden Geburtstagen, sondern überbringen auch neu Zugezogenen einen Willkommensgruß der Kirchengemeinde, laden sie ein zu den Gottesdiensten oder zu Gemeindeveranstaltungen und informieren sie über kirchliche Angebote wie z.B. den Kindergarten.
Eine andere Form der Willkommenskultur zeigt sich in Gemeinden, die das Siegel „Offene Kirche“ tragen. Es zeigt in einem blauen Karo einen Kirchturm mit weit geöffneten Türen und bedeutet: Diese Kirche ist zu verlässlichen Zeiten auch unter der Woche für Besucher geöffnet. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover schreibt dazu: „Eine offene Kirche bedeutet Gastfreundschaft, Ruhe, Zeit für ein Gebet, die Möglichkeit, die Kirche zu entdecken und – mit etwas Glück- sie mal ganz für sich zu haben. Etwa 340 Kirchen tragen das Signet für verlässlich geöffnete Kirchen und über 50 Kirchen zusätzlich das Radwegekirchensignet.“
Wie eine Willkommenskultur darüber hinaus organisiert und auch gelebt werden kann, zeigt eine Broschüre des Evangelischen Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf, die man hier als PDF herunterladen kann. Dort heißt es schon in der Einleitung: „Eine Kultur des Willkommens ist keine Technik – vielmehr ist sie eine Haltung. Das ist das Entscheidende. Es ist die Haltung, sich des unbekannten Gesichtes, des kirchlich Distanzierten, des Fremden freundlich anzunehmen. Manchen genügt das schon, sie schätzen distanzierte Herzlichkeit. Manche warten aber auch auf eine Einladung: »Bleibe bei uns, …«. Willkommenskultur braucht Fingerspitzengefühl.“
Dass eine (kirchliche) Willkommenskultur zahlreiche Aspekte hat, zeigt eine entsprechende Checkliste des Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf. Das fängt schon bei den Gebäuden und Räumen der Kirche an: „Ist der erste Eindruck einladend, wenn ich die Kirche/das Gemeindehaus/die Kita betrete? Können sich Besucherinnen und Besucher, wenn sie zum ersten Mal in die Kirche/das Gemeindehaus/die Kita kommen, gut orientieren? Gibt es einen Wegweiser zu den einzelnen Räumen und sind diese beschildert?“
Auch für den Gottesdienst hält die Checkliste Tipps parat: „Werden die Besucherinnen und Besucher am Eingang begrüßt? Wenn ja: Ist den Ehrenamtlichen wirklich das Charisma der Freundlichkeit gegeben? (Wenn nein: Wer hat die Gabe zu diesem wichtigen Dienst?) Bekommen Besucherinnen und Besucher ein Gesangbuch in die Hand? Ist die Gottesdienstordnung dort eingeklebt?“ Alle Hinweise der umfangreichen Checkliste – ob sie nun das Gemeindebüro, die kirchlichen Angebote, Gruppen oder Kreise betreffen – zielen darauf ab, dass sich insbesondere neue Gemeindeglieder leicht orientieren können und sich willkommen und angenommen fühlen. Zum Schluss heißt es dort: „Das Abhaken aller zuvor genannten Punkte kann aber eines nicht ersetzen: Die von Herzen kommende gastfreundliche Haltung der Menschen, die einem in der Gemeinde begegnen.“
Diese Haltung darf nie aufgesetzt sein oder wirken. Echte Willkommenskultur in der Kirche muss sich vielmehr an der Bibel orientieren und dem Beispiel Jesu folgen. Der saß bekanntlich nicht nur mit seinen ihm gut bekannten Jüngern zu Tisch, sondern immer wieder auch mit Sündern und Fremden, wie z.B. die Geschichte vom Zöllner Zachäus berichtet (Matthäus-Evangelium, Kap. 9, Vers 9ff). In der Broschüre aus dem Evangelischen Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf heißt es deshalb:
„Christliche Gemeinschaft heute hat zum Maßstab die Tischgemeinschaft damals. Denn Evangelische Kirche, jede christliche Gemeinde, ist die Fortsetzung der Tischgemeinschaft Jesu. Eine vertraute Runde von Christenmenschen, in der jeder jeden kennt, man Interessen teilt und es überhaupt sehr schön miteinander hat, ist eine feine Sache. Aber Tischgemeinschaft Jesu ist das noch nicht. Denn ihr Kennzeichen ist gerade die Offenheit. Tischgemeinschaft Jesu heißt, gerade die an den Tisch zu holen, die uns nicht vertraut sind, die nicht, noch nicht, zu uns gehören. Denn Jesus ist doch am Kreuz nicht für die Kerngemeinde gestorben, sondern, wie es heißt, »für die vielen«.“