Wo die Zeitumstellung noch Handarbeit ist
Sonntag, 27.10.2024
Zwei Mal im Jahr dreht ganz Deutschland an der Uhr: Im März werden die Zeitmesser um eine Stunde vorgestellt auf die Sommerzeit, und im Oktober dann eine Stunde zurück auf Winterzeit. Das nervt nicht nur, sondern macht manchmal auch richtig viel Arbeit.
Das gilt zum Beispiel für die Turmuhr der evangelischen Pauluskirche in Bielefeld. Sie wird von einem über 140 Jahren alten mechanischen Uhrwerk angetrieben, das auch für die pünktlichen Glockenschläge verantwortlich ist. Das Vorstellen der Uhr, um sie auf die Sommerzeit einzustellen, ist unproblematisch, erklärt Bernd Laude, der das Uhrwerk als ehrenamtlicher Küster unter seine Fittiche genommen hat: „Für die Umstellung muss ich auf den Turm steigen und für die Sommerzeit mit einem großen Maulschlüssel das sogenannte Minutenzahnrad lösen und es eine Umdrehung vorwärts drehen. Bei der Winterzeit geht das nicht. Beim Zurückdrehen des Zahnrades würde sich das Gestänge zwischen den Laufwerken verhaken.“
Damit die Kirchturmuhr trotzdem auch in der Winterzeit die richtige Zeit anzeigt, ist deshalb echte Handarbeit gefragt, sagt Laude: „Ich muss das Uhrwerk dazu am Pendel auf der Rückseite des Werkes anhalten, und es nach genau einer Stunde wieder in Betrieb nehmen. Ich guck auf mein Smartphone und genau nach einer Stunde bewege ich das Pendel und nehme die Uhr wieder in Betrieb.“
Das Uhrwerk der Firma J.F.Weule aus dem Jahre 1833 ist eine echte Rarität, die man sonst höchstens noch in einem Museum findet. Bis auf die Antriebsseile ist das Uhrwerk noch im Originalzustand erhalten. Nichts wurde ersetzt oder repariert, und es funktioniert heute noch einwandfrei. Das Werk hat einen Gewichtsantrieb, das heißt, es wird von auf Trommeln aufgewickelten Drahtseilen angetrieben. An den Seilen hängen 80-90 Kg schwere Gewichte - ähnlich wie bei einer Kuckucksuhr. Die Seile müssen alle sieben Tage neu aufgewickelt werden.
Die Uhr besteht aus insgesamt vier Laufwerken: Einem Gehlaufwerk für die Zeitanzeige an den vier Zifferblättern oben im Turm und drei Schlagwerken. Das Schlagwerk ganz links schlägt an der kleinen Melanchthon Glocke die Viertelstunden an. Daneben das Gehlaufwerk mit dem Pendel hinten. Auf einem kleinen roten Zeiger vorne kann man die Minuten ablesen. Eine Welle davor führt nach oben zu den Zifferblättern. Das Schlagwerk weiter rechts schlägt die Stunden von 1-12 an der Luther Glocke an. Und das Werk ganz rechts soll die Gläubigen zum Angelus-Gebet rufen - es schlägt um 12 und um 18 Uhr jeweils zehn Mal an der großen Paulus Glocke.
„Pflege und Instandhaltung des Uhrwerks ist mein Hobby“, sagt Bernd Laude. Der ehemalige Fernmeldetechniker ist eigens nach Bokenem in den Harz gefahren und hat sich im Turmuhrenmuseum der Firma Weule die Funktionsweise von Kirchturmuhren erklären lassen. Ende 2020 hat er dann angefangen, das Uhrwerk der Pauluskirche zu restaurieren: „Es funktioniert einwandfrei! Gelegentlich ein paar Tröpfchen Öl an die Lager und es wird nochmal so alt“, sagt der 73Jährige heute. Auch deshalb kommt für ihn ein Umbau oder Austausch der Turmuhr nicht in Frage. Er wird auch weiterhin immer wieder die 69 Stufen im Turm der Bielefelder Pauluskirche hinaufsteigen, um "seine" Uhr auf die richtige Zeit einzustellen - und um Interessierten dieses Wunderwerk der Technik vorzuführen.
Übrigens: Im Jahr 2018 gab es eine europaweite Umfrage der EU-Kommission, bei der es um die Frage ging, ob der Wechsel von Sommer- auf Winterzeit beibehalten oder abgeschafft werden sollte. 4,6 Millionen Leute haben damals abgestimmt – die erfolgreichste Umfrage in der EU-Geschichte. Bis dahin hatten sich höchstens 500.000 EU-Bürger an Online-Befragungen der Kommission beteiligt. Genauso überwältigend wie die Beteiligung war das Ergebnis der Umfrage: Über 80% der Teilnehmer stimmten gegen die Zeitumstellung. Passiert ist seitdem aber nichts. Innerhalb der EU konnten sich die Länder bislang nicht darauf einigen, welche Zeit dauerhaft gelten soll – die Winter- oder die Sommerzeit.