Wohlfahrtsverbände: OGS besser ausstatten
Sonntag, 06.08.2017
Vor 14 Jahren wurde in NRW die Offene Ganztagsschule (OGS) eingeführt. Doch bis heute fehlen landesweit einheitliche Standards und eine ausreichende Finanzierung der Arbeit, kritisieren die Wohlfahrtsverbände, die 80% der Angebote tragen.
Mit ihrer seit März 2017 laufenden Kampagne "Gute OGS darf keine Glückssache sein!" machen Diakonie, Caritas, AWO, Rotes Kreuz, die jüdischen Gemeinden und der Paritätische Wohlfahrtsverband gemeinsam auf Missstände aufmerksam. Ihren Angaben zufolge kostet jeder der rund 300.000 OGS-Plätze in NRW für ein Kind pro Jahr rund 3.000 Euro. Das Land NRW übernimmt davon 1.000 Euro, weitere 435 Euro muss die jeweilige Kommune als Pflichtanteil zahlen. Beide Beträge wurden seit Einführung der OGS im Jahr 2003 kaum erhöht. Unterm Strich bleibt damit pro Kind und Platz ein Fehlbetrag von rund 1.500 Euro, der von den Wohlfahrtsverbänden übernommen werden muss.
In der Konsequenz bleibt zum Beispiel die Diakonie Ruhr Hellweg auf 50.000 Euro jährlich sitzen, erklärt Irene Düring, die dort den Fachbereich Bildung und Erziehung leitet und für 15 Offene Ganztagsschulen zuständig ist: "Wir wissen nicht mehr, wo wir noch sparen können, ohne die Qualität der Betreuung massiv herunterzufahren“, sagt sie. Eine höhere finanzielle Beteiligung der Kommunen ist nach Angaben der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) nicht zu erwarten, weil viele Städte unter Haushaltssicherung stehen und deshalb keine zusätzlichen Gelder für die OGS ausgeben können.
Helmut Mohr verwaltet für den Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid ebenfalls 15 Offene Ganztagsschulen mit rund 1.000 Grundschülern. Er berichtet: "In Gelsenkirchen wächst die Zahl der Kinder, die eine Nachmittagsbetreuung brauchen, aber wir haben weder genug Räume noch Personal dafür", sagt Mohr. "Unsere Kommune ist arm. Sie steht mit dem Rücken zur Wand."
Mancherorts – so die Diakonie RWL - sei die Lage so prekär, dass sich "160 Kinder drei leer geräumte Klassenzimmer zum Spielen teilen müssen und dabei von keiner pädagogischen Fachkraft betreut werden." Dort könne man von Zuständen wie in Detmold nur träumen: "Dort haben Kommune und Träger gemeinsam Qualitätsstandards festgelegt, deren Einhaltung jedes Jahr abgefragt und überprüft wird. Für jede Gruppe mit 25 Kindern gibt es zwei Fachkräfte. Die Stadt zahlt Extragelder für Honorarkräfte, die vielfältige Freizeitangebote vom Sport über Musikunterricht bis zur Reittherapie gestalten. In manchen Schulen sind die Erzieherinnen sogar eingebunden in die Klassenleitung."
Mit zahlreichen lokalen Aktionen und einer großen Abschlusskundgebung am 12. Juli 2017 vor dem NRW-Landtag haben die Wohlfahrtsverbände ihren Forderungen in den vergangenen Wochen Nachdruck verliehen. Sie wünschen sich landeseinheitliche gesetzliche Regelungen mit klaren Mindeststandards für die Offenen Ganztagsschulen sowie eine bessere Finanzierung ihrer Arbeit und Angebote. "Es kann nicht angehen, dass es in NRW Glückssache für Eltern und Kinder ist, eine gute Offene Ganztagsschule zu finden", kritisiert Helga Siemens-Weibring von der Diakonie RWL die aktuellen Zustände. "Wenn wir Bildungs- und Chancengleichheit in den entscheidenden Grundschuljahren schaffen wollen, müssen wir die OGS dringend besser ausstatten."
Ende Juli 2017 hat das Bundesfamilienministerium auf Anfrage der Grünen-Fraktion mitgeteilt, dass inzwischen mehr als 60 Prozent aller Grundschulen in Deutschland auf Ganztagsbetrieb umgestellt hätten. Wie es in einem Bericht des Evangelischen Pressedienstes (epd) weiter heißt, gebe es trotzdem an rund jeder vierten Grundschule (24%) mehr Anmeldungen als Plätze. In NRW ist die Offene Ganztagsschule 2003 mit 235 Schulen gestartet. Heute bieten 90% der NRW-Grundschulen eine Nachmittagsbetreuung an, die von 40% der Schülerinnen und Schüler genutzt wird.