Zehn Jahre Welterbe Corvey

von Stefan Klinkhammer

Sonntag, 30.06.2024

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Mit der druckfrischen Festschrift: (v.l.) Hans-Werner Gorzolka, Kirchenvorstand Josef Kowalski, Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek und Verleger Jörg Mitzkat. Foto: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht

Gestern haben sie groß gefeiert: Seit 2014 zählen das Karolingische Westwerk und die als Bodendenkmal erhaltene Civitas Corvey zum UNESCO Welterbe. Und die nächste große Ausstellung in der über 1200 Jahre alten Klosteranlage in Höxter steht schon fest …

INFO: Die Benediktinerabtei Corvey bei Höxter an der Weser war eine der bedeutendsten Klostergründungen des Mittelalters, ein wichtiges geistiges, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum. Vor zehn Jahren, am 21. Juni 2014, verlieh die UNESCO-Kommission dem zwischen 873 und 885 entstandenen karolingischen Westwerk und der als Bodendenkmal erhaltenen Civitas Corvey den Titel „UNESCO-Welterbe“. Das UNESCO-Komitee schrieb 2014 in der Begründung zur Vergabe des Welterbe-Titels: „Das Westwerk von Corvey in Höxter an der Weser ist eines der wenigen in den wesentlichen Teilen erhaltenen karolingischen Bauwerke und darüber hinaus das einzige erhaltene Zeugnis des Bautyps Westwerk aus dieser Zeit“. Es vereine Innovation mit dem Rückgriff auf antike Vorbilder auf hohem Niveau und habe als Bautypus die abendländische Architektur bis zum Ende der Romanik ganz wesentlich mitgeprägt, so das internationale Gremium.

Ein Gottesdienst und ein Festakt am 28. Juni mit Gästen aus Kirche, Verwaltung, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft würdigten das 10-jährige Jubiläum der Welterbe-Anerkennung. Zum Jubiläum hatte auch eine gut 40 Quadratmeter große, immersive Medieninstallation Premiere: Sie lässt Besucher in die mehr als 1.200-jährige Geschichte des Ortes eintauchen und schafft architektonische Transparenz zwischen frühem Mittelalter und Barock: Ohne Eingriff in die hochsensible Originalsubstanz wurde eine „intelligente“ gläserne Wand im Erdgeschoss des Westwerks installiert. Sie kann zu 95 Prozent blickdicht geschaltet und für Besucher in eine Projektionsfläche verwandelt werden. Per Knopfdruck können so die karolingische Vorhalle und das angrenzende barocke Kirchenschiff optisch temporär getrennt werden. Vier Projektoren blenden einen gut zehn Minuten langen Film auf die fünf Meter hohe, acht Meter breite Fläche und per Kopfhörern lässt sich eine Zeitreise durch das „Jahrtausend der Mönche“ unternehmen – vom frühen Mittelalter bis zur Säkularisation. Die mit einer Folie beschichtete Glaswand ermöglicht zeitgleich den Gläubigen die ungestörte Teilnahme an Gottesdiensten der Kirchengemeinde.

Die neue Medieninstallation ergänzt und erweitert das digitale Gesamtkonzept im Westwerk Corvey. Im Obergeschoss des Westwerks lässt seit 2023 eine vom wissenschaftlichen Team in Corvey und dem Fraunhofer IGD in Darmstadt entwickelte Augmented-Reality-App die Bildwelt der Karolinger wieder lebendig werden. Sie macht die frühmittelalterliche künstlerische Ausgestaltung des sogenannten Johanneschors in eindrucksvoller Form sichtbar. Diese neuen Eindrücke verbinden sich mit der neu konzipierten Dauerausstellung in den Räumen des Schlosses Corvey unter dem Titel „Das Jahrtausend der Mönche. Von der Gründung Corveys bis zum Goldenen Zeitalter“, die zu Saisonbeginn im März eröffnet wurde.

Schätze aus dem Mittelalter und Faszination der Antike - Sonderausstellung im Diözesanmuseum Paderborn: Das Paderborner Diözesanmuseum widmet dem ehemaligen Kloster ab 21. September 2024 eine große Sonderausstellung unter dem Titel „Corvey und das Erbe der Antike. Kaiser, Klöster und Kulturtransfer im Mittelalter“ (21.9.24–26.1.25). Ausgangspunkt sind die nördlich der Alpen einzigartigen Wandmalereien im Corveyer Westwerk, die Szenen aus der Odyssee zeigen. In der Ausstellung wird erlebbar, wie im Mittelalter antikes Wissen und Kulturtechniken bewahrt und weitergegeben wurden, die uns bis heute prägen. Unter den spektakulären Leihgaben aus ganz Europa und den USA finden sich faszinierende Exponate wie die Burse von Enger, ein Reliquiar aus dem Kunstgewerbemuseum Berlin und eines der bedeutendsten Werke mittelalterlicher Goldschmiedekunst. Aus dem Aachener Dom kommt die rund 2.300 Jahre alte, hellenistische Statue einer großen Bronze-Bärin, die einst Karl der Großen an seinen Hof geholt haben soll. Das Musée de La Cour d’Or in Metz schickt die erhaltenen Teile des reichverzierten Sarkophags von Ludwig dem Frommen, des Gründervaters der Abtei Corvey, nach Paderborn. Die berühmte Stiftsbibliothek St. Gallen entleiht kostbare Fragmente einer Handschrift des römischen Dichters Vergil und aus der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz kommt die Abschrift einer Handschrift des römischen Geschichtsschreibers Tacitus zurück in ihre „ostwestfälische Heimat“. Nur aus dieser im 16. Jahrhundert im Auftrag der einflussreichen Familie der Medici aus dem Klosters Corvey nach Italien entführten Handschrift weiß man heute von der legendären Varusschlacht, in der der Cheruskerfürst Arminius den römischen Feldherren Varus vernichtend schlug.

Flankiert werden die mehr als 120 Ausstellungsexponate im Diözesanmuseum Paderborn von virtuellen Interventionen. Sie geben exklusive Einblicke in die Tätigkeit von Restauratoren, Forschenden und Naturwissenschaftlern, die heute das antike Erbe bewahren. Die Bedeutung und Vielfalt von Schrift und Schriftlichkeit machen aktuelle Arbeiten des international arbeitenden Kalligraphen und Künstlers Brody Neuenschwander deutlich. Die Paderborner Ausstellung will zeigen, wie antikes Wissen und Kultur über das Mittelalter bis in die Gegenwart gelangten und noch immer unsere europäische Gesellschaft prägen. Sie führt mehr als 120 einzigartige Leihgaben aus europäischen Museen, Bibliotheken und Archiven zusammen und gibt mediale Einblicke in die Arbeit von Restauratoren und Forschenden, die mit ihrer Arbeit das antike Erbe weiterhin bewahren. Sie führt teils kunstvoll gestaltete Pergamenthandschriften, die ehemals der Corveyer Schreibwerkstatt entstammten und heute in alle Welt verstreut sind, in Paderborn zusammen. Die Vielfalt und Bedeutung von Schrift und Schriftkulturen wird durch eindrucksvolle Rauminterventionen des Kalligraphen und Künstlers Brody Neuenschwander erlebbar.

Die Paderborner Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Katalog: Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Katalog im Michael Imhof Verlag (39,95 Euro im Museum, 49,95 Euro im Buchhandel, ISBN 978-3-7319-1425-9). Ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm begleitet die Sonderausstellung ab September 2024. Gruppenführungen sind bereits jetzt über die Tourist Information Paderborn buchbar: Tel. 05251 / 8812980, tourist-info@paderborn.de. Mehr Informationen zur Ausstellung unter www.erbe-der-antike.de. Informationen über das UNESCO-Welterbe Corvey: www.welterbewestwerkcorvey.de.

Kontakte: Erzbischöfliches Diözesanmuseum und Domschatzkammer, Markt 17, 33098 Paderborn, Tel. +49 (0) 5251-1251400, museum@erzbistum-paderborn.de; Kurator: Digitale Erschließung und Dauerausstellung karolingisches Westwerk und Abteikirche Corvey: Prof. Dr. Christoph Stiegemann; Pfarrgemeinde St. Stephanus & Vitus Corvey, Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek, Pfarrverwalter, Zentrales Pfarrbüro, Marktstraße 19, 37671 Höxter, Tel. +49 (0) 5271 498 98 21, presse@welterbewestwerkcorvey.de; mehr Informationen zur Ausstellung unter www.erbe-der-antike.de, Informationen über das UNESCO-Welterbe Corvey: www.welterbewestwerkcorvey.de, mehr unter https://welterbewestwerkcorvey.de/jubilaeum/ und auf den Social-Media-Kanälen Facebook und Instagram.

1200 Jahre Benediktinerabtei Corvey: Die in Ostwestfalen im Tal der Weser bei Höxter gelegene frühere Benediktinerabtei Corvey entstand auf Initiative Karl des Großen, wurde von seinem Nachfolger Ludwig dem Frommen gegründet und galt im frühen Mittelalter als eines der bedeutendsten Klöster in Europa. Die ersten Mönche, die am 25. September 822 den Grundstein legten, stammten aus der westfränkischen, nordfranzösischen Benediktinerabtei Corbie. Unter dem ersten Abt Adalhard, einem Vetter Kaiser Karls, ging der Mönch Ansgar als „Apostel des Nordens“ auf Mission nach Skandinavien, Reliquien des heiligen Märtyrers Vitus gelangten nach Corvey. 885 wurde die Klosteranlage mit der Errichtung des Westwerks abgeschlossen und galt als „Wunder Sachsens und des Erdkreises“. Die 873-885 entstandene und an antike Vorbilder angelehnte karolingische Kirchenfassade gilt heute als einziges weitgehend erhaltenes Bauwerk aus der Karolingerzeit.

Die Äbte des Klosters Corvey besaßen weitreichende Verbindungen nach Rom und Byzanz und gehörten zu den Gelehrten des karolingischen Hofs. Sie machten die abgelegene Abtei am Weserbogen zu einem Zentrum der Übermittlung antiker Schrift, Architektur und Wandmalerei. Das Wissen der Zeit trugen die Mönche in einer riesigen Bibliothek zusammen und vervielfältigten es in der Schreibstube, dem Skriptorium. 200 Jahre später verfügte Corvey über Besitzungen von Holland bis an die Elbe. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) hinterließ die Abtei in Trümmern. Doch schon gut 50 Jahre später, 1706, stand die neue barocke Abtresidenz. 1792 wurde Corvey Fürstbistum, doch schon 1803 säkularisiert, die Reihe der 65 Äbte ging mit Johann Karl Theodor von Brabeck zu Ende und das Kloster wurde in ein Schloss umgewandelt. Über den geflohenen niederländischen Statthalter Wilhelm V. von Oranien-Nassau und Landgraf Viktor Amadeus von Hessen-Rotenburg kam das rund 80.000 Quadratmeter große Anwesen in den Besitz von Viktor Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst, der ab 1840 den Titel „Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey“ führte. August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, von 1860 bis 1874 als Bibliothekar in Corvey tätig, vergrößerte den Bestand auf 74.000 Bände. Der Dichter der deutschen Nationalhymne liegt im Schatten seiner Wirkungsstätte begraben. Bis heute ist die Bibliothek deutschlandweit eine der größten Buchsammlungen in Privatbesitz. Die Verantwortung für das Anwesen teilt sich Herzog Viktor V., Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey, mit der gemeinnützigen Gesellschaft „Kulturkreis Höxter-Corvey“ und der örtlichen Kirchengemeinde Sankt Stephanus und Vitus, der Eigentümerin des Westwerks. 2014 wurden „Das Karolingische Westwerk und die Civitas Corvey“ als das erste Bauwerk in Westfalen und 39. Welterbestätte in Deutschland in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.

2023 feierte das Kloster Corvey aus Anlass seiner Gründung vor 1.200 Jahren sein Jubiläumsjahr. Im frühen Mittelalter galt das Benediktinerkloster als eines der bedeutendsten in Europa: Am 25. September 822 hatten Benediktinermönche aus dem westfränkischen Corbie den Grundstein für die Anlage mit Kloster und Kirche gelegt, deren Westwerk 885 vollendet wurde. Das im 17. Jahrhundert barock überbaute Kloster wurde 1803 säkularisiert und in ein Schloss umgewandelt. Seit dem 19. Jahrhundert ist das rund 80.000 Quadratmeter große Areal in Besitz der Herzöge von Ratibor und Fürsten von Corvey. Eigentümerin des Westwerks ist die katholische Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey. Mehr unter https://welterbewestwerkcorvey.de/jubilaeum/ und auf den Social-Media-Kanälen Facebook und Instagram.

Literatur: Günter Tiggesbäumker, Die Fürstliche Bibliothek in Corvey. Das Lebenswerk des August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Höxter: Sparkasse 2002. (Kultur im Kreis Höxter 4).

Mehr: Schloss Corvey, Kulturkreis Höxter-Corvey gGmbH, Schloss Corvey, 37671 Höxter, Tel. 05271 / 69 40 10, E-Mail: veranstaltungen@corvey.de,Internet: https://corvey.de/; Pastoralverbund Höxter (Abteikirche St. Stephanus und Vitus), Pfarramt St. Nikolai, Marktstr. 21, 37671 Höxter, Tel. 05271 / 75 14, Internet: www.pv-hx.de

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