Zukunft für 2.000 Kirchen in NRW ungewiss
Sonntag, 21.03.2021
In der Evangelischen Kirche von Westfalen wurden in den vergangenen 20 Jahre 78 Kirchen und 61 weitere Gottesdienststätten aufgegeben. Im Rheinland waren es zwischen 2008 und 2018 ähnlich viele, nämlich 150 insgesamt. Und das Kirchensterben geht weiter.
Noch gibt es in Nordrhein-Westfalen rund 6.000 evangelische und katholische Kirchen. Doch die Mitgliederzahlen der Gemeinden wie auch deren Finanzmittel schwinden. Auf längere Sicht werden deshalb etwa 2.000 Gotteshäuser nicht mehr gebraucht. Was soll aus ihnen werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Kooperationsprojekt des gemeinnützigen Vereins „Baukultur NRW“ zusammen mit der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen und der Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen unter Mitwirkung der (Erz-)Bistümer und Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen und der RWTH Aachen. Unter dem Titel „Zukunft – Kirchen – Räume. Kirchengebäude erhalten, anpassen und umnutzen“ suchen und fördern sie gemeinsam Pilotprojekte zum Erhalt von Kirchengebäuden in Nordrhein-Westfalen.
Eine neunköpfige Jury, der Fachleute aus Kommunen, Verbänden und Kirchen angehören, hat Mitte Februar fünf erste Modellprojekte ausgewählt und benannt. Es handelt sich dabei um St. Johann Baptist in Krefeld (Katholische Kirchengemeinde Maria Frieden), St. Michael in Oberhausen (Katholische Kirchengemeinde St. Marien Alt-Oberhausen), St. Barbara in Neuss (Kath. Kirchengemeinde St. Marien im Kirchenverband Neuss-Mitte), die Lukaskirche in Köln-Porz (Evangelische Kirchengemeinde Porz) sowie die Pauluskirche in Gelsenkirchen-Bulmke (Evangelische Apostel Kirchengemeinde in Kooperation mit dem Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasium).
Die evangelische Pauluskirche mit 1.200 Sitzplätzen wurde am 15. Dezember 1911 unter großer Anteilnahme der Gemeinde eingeweiht. Während des 2. Weltkriegs wurde das Gotteshaus bei einem großen Luftangriff am 16. September 1944 durch Brandbomben stark beschädigt und bei einem weiteren Angriff am 6. November 1944 schließlich völlig zerstört. Nur der Kirchturm ragte noch aus den Schuttmassen empor. Nach Ende des Krieges wurde das Grundstück von den Trümmern befreit und an gleicher Stelle am 18.12.1955 der Grundstein für den Wiederaufbau gelegt. Anderthalb Jahre später feierte die Gemeinde am 23. Juni 1957 einen Gottesdienst zur Einweihung der neuen Pauluskirche.
Weil der Gemeinde die Geldmittel zur weiteren Unterhaltung des Gebäudes fehlten, wurde die Kirche 2020 geschlossen. Ein Team um Pastor Henning Disselhoff hat inzwischen ein Drei-Säulen-Konzept zur Umnutzung erstellt. In den kommenden Jahren soll die Kirche für die umliegenden Schulen als "alternativer Lernraum" umgebaut werden. Außerdem soll sie künftig Konzerthaus, Ausstellungshalle und Theaterbühne sein. Auch die dritte Säule – die Spiritualität – zielt vor allem auf junge Leute, erklärt Pastor Disselhoff: „Schüler und Schülerinnen sagen, wenn sie in den Raum kommen: »Hier komm ich runter, hier kann ich zu mir selbst kommen« - Das spüren die spontan. Und das soll erhalten bleiben.“
Kirchengebäude, die nicht mehr weiter erhalten oder genutzt werden können, werden in einem feierlichen letzten Gottesdienst entwidmet und anschließend entweder abgerissen oder aber einer neuen, meist weltlichen Nutzung zugeführt. So wurde beispielsweise die katholische Kirche St. Peter in Mönchengladbach 2010 in eine „Kletterkirche“ mit 600 Quadratmetern Kletterfläche und Wandhöhen von bis zu 13 Metern umfunktioniert. Ebenfalls in Mönchengladbach wurden die katholische Herz-Jesu Kirche und die evangelische Friedenskirche in Wohngebäude umgewandelt.
Weitere Beispiele sind die Gustav-Adolf-Kirche in Hannover, die seit 2009 eine Synagoge ist oder auch die Bielefelder Martini-Kirche, in der seit 2005 ein Restaurant untergebracht ist. Aus einer Klosterkirche in Mecklenburg-Vorpommern ist ein Orgelmuseum geworden. Für Aufsehen sorgte die Umnutzung der ehemals evangelischen Kapernaum-Kirche in Hamburg. Der typische Kirchbau aus den 1960er Jahren wurde 2002 entwidmet und 2005 an einen Unternehmer veräußert, der sie sieben Jahre später für eine hohe sechsstellige Summe an die Al-Nour-Gemeinde weiterverkaufte. Seit 2018 ist dort nun eine Moschee untergebracht.